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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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gleicher Post schickte der Vater eine genau berechnete Überweisung für die anfallenden Ausgaben und kündigte eine weitere mit dem Reisegeld an. Für das schwärmerische Gemüt meiner Mutter waren das höchst anregende Nachrichten, und ihre Antwort war wohl überlegt, nicht nur um den Elan meines Vaters zu unterstützen, sie wollte ihm auch die Kunde von ihrer achten Schwangerschaft versüßen.
    Ich erledigte die Formalitäten und reservierte Plätze auf der Capitán de Caro, einem legendären Schiff, das eine Nacht und einen halben Tag für die Strecke von Barranquilla nach Manangué brauchte. Von dort aus würden wir in einem Motorboot auf dem Rio San Jorge und dem idyllischen Kanal La Mojana bis zu unserem Ziel fahren.
    »Hauptsache wir kommen von hier weg, und sei es in die Hölle«, rief meine Mutter aus, der Sucres glanzvoller Ruf schon immer suspekt gewesen war. »Man darf seinen Mann nicht allein in so einem Ort lassen.«
    Sie drängte uns zu solcher Eile, dass wir schon drei Tage vor der Abfahrt auf dem Boden schliefen, weil wir bereits die Betten und so viele Möbel wie möglich bei einer Versteigerung verkauft hatten. Alles andere war in Kisten gepackt, und das Geld für die Passagen lag in irgendeinem Versteck meiner Mutter, gut abgezählt und tausendmal nachgezählt.
    Der Angestellte, der mich bei der Flussschifffahrtsgesellschaft bediente, war so einnehmend, dass sich meine zusammengepressten Kiefer lockerten und ich mich gut mit ihm verständigen konnte. Ich bin absolut sicher, dass ich buchstabengetreu die Tarife aufgeschrieben habe, die er mir mit der klaren und geschmeidigen Stimme der verbindlichen Kariben diktierte. Am meisten freute mich, und deshalb vergaß ich es auch nicht, dass Kinder unter zwölf Jahren nur die Hälfte zahlten. Das hieß, alle Kinder außer mir. Davon ausgehend legte meine Mutter das Geld für die Reise beiseite und gab noch den letzten Centavo für die Auflösung des Haushalts aus.
    Am Freitag wollte ich die Fahrkarten kaufen, doch der Angestellte empfing mich mit der Überraschung, dass die Ermäßigung bis zu zwölf Jahren nicht fünfzig, sondern nur dreißig Prozent betrug, was für uns eine unüberbrückbare Differenz ausmachte. Er führte an, ich hätte mir das falsch notiert, die offizielle Preisliste liege nämlich gedruckt vor, und er zeigte sie mir. Ich ging voller Sorgen nach Hause, meine Mutter kommentierte das Ganze nicht weiter, sondern zog sich das schwarze Kleid an, in dem sie um ihren Vater getrauert hatte, und wir machten uns zum Büro der Flussschifffahrtsgesellschaft auf.
    Meine Mutter war gerecht: Jemand habe sich geirrt, und das könne durchaus ihr Sohn gewesen sein, aber darum ginge es nicht. Tatsache sei, wir hätten nicht mehr Geld. Der Angestellte erklärte ihr, da sei nichts zu machen.
    »Verstehen Sie doch, Senora«, sagte er, »es geht nicht darum, ob man Ihnen helfen oder nicht helfen will, das hier ist ein seriöses Unternehmen, und die Bestimmungen lassen sich nicht wie eine Wetterfahne drehen.«
    »Aber die Kinder sind doch klein«, sagte meine Mutter und wies als Beispiel auf mich. »Stellen Sie sich vor, das hier ist der Älteste, und gerade einmal zwölf.« Und mit der Hand zeigte sie:
    »Die anderen sind nur so groß.«
    Es sei nicht eine Frage der Größe, brachte der Angestellte vor, sondern des Alters. Keiner zahle weniger, nur die Säuglinge, die reisten gratis. Meine Mutter setzte auf höhere Mächte:
    »Mit wem muss ich sprechen, damit das hier in Ordnung kommt?«
    Der Angestellte kam nicht dazu, ihr zu antworten. Der Geschäftsführer, ein älterer Mann mit einem mütterlichen Bauch, schaute mitten im Wortgefecht durch die Bürotür, und der Angestellte stand auf, als er ihn erblickte. Der Mann war riesig, verbreitete, sogar verschwitzt und in Hemdsärmeln, Respekt, und seine Autorität war unübersehbar. Er hörte meiner Mutter aufmerksam zu und antwortete mit ruhiger Stimme, dass eine solche Entscheidung nur durch eine Reform der Bestimmungen in der Gesellschafterversammlung möglich sei.
    »Es tut mir sehr Leid, glauben Sie mir«, schloss er.
    Meine Mutter verspürte den Hauch der Macht und verfeinerte ihre Argumentation.
    »Sie haben Recht, Señor«, sagte sie, »das Problem ist jedoch, dass Ihr Angestellter es meinem Sohn nicht richtig erklärt hat, beziehungsweise dass mein Sohn es falsch verstanden hat und dass ich mich diesem Irrtum entsprechend verhalten habe. Jetzt habe ich alles fertig zum Einschiffen gepackt, wir

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