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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Bewegung Arena y Cielo, einer Gruppe junger Poeten, die sich vorgenommen hatten, mit Pablo Neruda als Vorbild die kolumbianische Poesie zu erneuern. Eigentlich handelte es sich um eine lokale Replik der Gruppe Piedra y Cielo, die zu jener Zeit in den Dichtercafés von Bogotá und in den von Eduardo Carranza bestimmten Literaturbeilagen den Ton angab und im Schatten des Spaniers Juan Ramon Jiménez die toten Blätter des 19. Jahrhunderts mit heilsamer Entschlossenheit hinwegfegen wollte. An der Atlantikküste war es nicht mehr als ein halbes Dutzend junger Leute, doch die hatten mit solcher Kraft die Literaturbeilagen der Region erobert, dass sie zunehmend als große literarische Hoffnung galten.
    Der Kapitän von Arena y Cielo hieß César Augusto del Valle, war etwa zweiundzwanzig Jahre alt, und sein Erneuerungswillen betraf nicht nur die Themen und Gefühle, sondern auch die orthografischen und grammatikalischen Regeln in seinen Gedichten. Für die Puristen war er ein Ketzer, für die Akademiker ein Idiot und für die Klassiker ein Irrer. In Wahrheit war er jedoch - wie Neruda -jenseits aller ansteckenden Militanz ein unverbesserlicher Romantiker.
    Meine Kusine Valentina nahm mich eines Sonntags mit in das Haus, wo César mit seinen Eltern lebte, im Viertel San Roque, dem fidelsten der Stadt. Er war grobknochig, sehr dunkel und dünn, hatte große Hasenzähne und das zerwühlte Haar der Dichter seiner Zeit. Vor allem aber war er ein Weiberheld und feierte gern. Sein Haus, eines der unteren Mittelschicht, war mit Büchern förmlich tapeziert, so dass für kein einziges mehr noch Platz war. Sein Vater war ein ernster, eher trauriger Mann, er hatte etwas von einem Beamten im Ruhestand und schien besorgt über die fruchtlose Berufung seines Sohnes. Seine Mutter nahm mich geradezu mitleidig auf, wie einen weiteren Sohn, von demselben Leiden heimgesucht, über das sie schon so viele Tränen hatte vergießen müssen.
    Dieses Haus war für mich die Offenbarung einer Welt, die ich mit meinen vierzehn Jahren vielleicht erahnte, mir aber nicht so richtig hatte vorstellen können. Nach jenem ersten Tag wurde ich Césars häufigster Besucher, und ich nahm so viel seiner Zeit in Anspruch, dass ich mir heute noch nicht erklären kann, wie er das ertragen hat. Womöglich, so denke ich, hat er mich benutzt, um seine literarischen Theorien, die eigenwillig, aber bestechend waren, an einem staunenden, aber ungefährlichen Gesprächspartner zu erproben. Er lieh mir Bücher von Dichtern, deren Namen ich noch nie gehört hatte, und ich sprach mit ihm darüber, ohne mir meiner hemmungslosen Kühnheit bewusst zu sein. Besonders über Neruda, dessen Zwanzigstes Liebesgedicht ich auswendig lernte, um einige der Jesuiten, die nicht auf derlei poetischen Pfaden wandelten, damit verrückt zu machen. In jenen Tagen sorgte eine Ode an Cartagena de Indias von Meira Delmar in der Kulturszene der Stadt für Aufregung, die sich auf die ganze Küstenregion übertrug. So meisterhaft waren die Diktion und der Klang, als mir César del Valle das Gedicht vorlas, dass ich es schon nach dem zweiten Lesen auswendig konnte.
    Es gab auch viele Gelegenheiten, bei denen wir uns nicht unterhalten konnten, weil César gerade auf die ihm eigene Art schrieb. Er schritt durchs Haus, war in einer anderen Welt, kam alle zwei, drei Minuten, nachdem er Zimmer und Korridore durchmessen hatte, wie ein Schlafwandler an mir vorbei, setzte sich plötzlich an die Maschine, schrieb einen Vers, ein Wort, vielleicht nur einen Buchstaben und begann erneut seine Wanderung. Ich beobachtete ihn, verzückt von dem himmlischen Gefühl, gerade die einzige, geheime Methode des Dichtens zu erlernen. So verhielt er sich immer während meiner Jahre am Colegio San José, die mir die poetische Grundlage gaben, um meine eigenen Kobolde loszulassen. Die letzte Nachricht, die mich von diesem unvergesslichen Poeten erreichte, war zwei Jahre später in Bogotá ein Telegramm von Valentina mit nur drei Worten, die sie nicht zu unterschreiben gewagt hatte: »César ist tot.«
    Als Erstes überkam mich in diesem Barranquilla ohne Eltern ein Gefühl dafür, was freier Willen bedeutet. Ich pflegte Freundschaften auch außerhalb der Schule. Darunter die mit Álvaro del Toro - der beim Deklamieren in den Schulpausen die zweite Stimme übernahm - und mit dem Klan der Aretas, mit denen ich mich in Buchhandlungen herumtrieb oder ins Kino ging. Denn Onkel Eliecer hatte mir, um seiner Verantwortung zu

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