Leben, um davon zu erzählen
mich, ein anderer zu sein in dem Leben, das sie sich für mich ausgedacht hatte: eine andere Stadt, eine andere Schule, andere Freunde und sogar eine andere Haltung. Ich überlegte es mir kaum. Mit der Autorität meiner vielen Medaillen ging ich als Erstes zu meinem Vater und sagte ihm mit einer gewissen Feierlichkeit, ich wolle weder ans Colegio San José noch nach Barranquilla zurück.
»Gottlob!«, sagte er. »Ich habe mich schon immer gefragt, woher dieser romantische Hang kommt, in eine Jesuitenschule zu gehen.«
Meine Mutter überging diese Bemerkung.
»Wenn nicht Barranquilla, dann muss es Bogot á sein«, sagte sie.
»Dann wird es nirgendwo sein«, erwiderte Papa sofort, »denn so viel Geld, dass es für die Cachacos reicht, gibt es nicht.«
Es ist seltsam, aber der bloße Gedanke, nicht länger lernen zu müssen, was doch der Traum meines Lebens gewesen war, erschien mir plötzlich unfasslich, und ich führte sogar einen Traum ins Feld, der mir immer unerreichbar erschienen war.
»Es gibt Stipendien«, sagte ich.
»Ganz viele sogar«, sagte Papa, »aber nur für die Reichen.«
Das traf teilweise zu, allerdings nicht aufgrund von Günstlingswirtschaft, sondern weil die Bewerbungen kompliziert und die Bedingungen nicht ausreichend bekannt waren. Als Folge des Zentralismus musste jeder, der sich um ein Stipendium bewarb, nach Bogotá kommen - tausend Kilometer in acht Reisetagen -, was fast so viel kostete wie drei Monate in einem guten Internat. Und die Reise konnte vergeblich sein. Meine Mutter erregte sich:
»Wenn die Geldmaschine erst einmal angeworfen ist, weiß man, wo man anfängt, aber nicht, wo man aufhört.«
Im Übrigen gab es noch andere fällige Verpflichtungen. Luis Enrique, der ein Jahr jünger war als ich, hatte zwei Schulen am Ort besucht und war von beiden nach wenigen Monaten desertiert. Margarita und Aida kamen an der Grundschule bei den Nonnen gut voran, dachten aber bereits an eine nähere und billigere Stadt, wo sie die Oberschule besuchen konnten. Gustave, Ligia, Rita und Jaime waren noch keine dringlichen Fälle, sie wuchsen aber mit bedrohlicher Geschwindigkeit heran. Sie, wie auch die drei, die nach ihnen geboren wurden, haben mich immer wie jemanden behandelt, der stets nur kam, um wieder zu gehen.
Für mich war es das entscheidende Jahr. Die größte Attraktion beim Kutschenturnier waren die Mädchen, die nach Anmut und Schönheit ausgesucht und wie Königinnen eingekleidet wurden, um auf ihrem jeweiligen Wagen Verse über den symbolischen Kampf zwischen den beiden Hälften des Städtchens vorzutragen. Ich, der noch immer ein halber Fremdling war, genoss das Privileg, neutral zu sein, und verhielt mich auch so. In diesem Jahr gab ich jedoch den Bitten der Anführer von Congoveo nach, die Verse für meine Schwester Carmen Rosa, die Königin einer monumentalen Kutsche, zu schreiben. Ich ging bereitwillig darauf ein, übertrieb jedoch die Angriffe auf den Gegner aus Unkenntnis der Spielregeln. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Skandal mit zwei Friedensgedichten aus der Welt zu schaffen: mit einem aufbauenden Poem für die Schöne des Congoveo und einem besänftigenden für die Schöne aus Zulia. Der Zwischenfall sprach sich herum. Der namenlose Dichter, im Ort kaum bekannt, wurde zum Helden des Tages. Diese Episode führte mich in die Gesellschaft ein und bescherte mir die Freundschaft beider Seiten. Von da an blieb mir kaum Zeit, überall sollte ich schreibend aushelfen, bei Kindertheatern, Wohltätigkeitsbasaren, Tombolas für gute Zwecke, sogar bei der Rede eines Kandidaten für den Stadtrat.
Luis Enrique, der bereits den inspirierten Gitarristen erahnen ließ, der er einmal sein würde, lehrte mich Tiple zu spielen. Zusammen mit ihm und Filadelfo Velilla wurden wir zu Königen der Serenaden, und unsere größte Belohnung war, dass einige der Schönen, denen wir ein Ständchen brachten, sich eilends wieder anzogen, das Haus öffneten, die Nachbarinnen weckten und dann mit uns bis zum Frühstück weiterfeierten. Die Gruppe wurde in jenem Jahr durch José Palencia bereichert, den Enkel eines wohlhabenden und verschwenderischen Großgrundbesitzers. José war ein geborener Musiker, der jedes Instrument, das ihm in die Hände kam, spielen konnte. Er sah aus wie ein Filmschauspieler, war ein begnadeter Tänzer, von blendender Intelligenz und einem eher geneideten als beneidenswerten Glück bei flüchtigen Liebschaften.
Ich dagegen konnte nicht einmal tanzen, lernte es
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