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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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genügen, als einzige Grenze gesetzt, dass ich vor acht Uhr zu Hause sein musste.
    Als ich einmal bei César del Valle im Salon lesend auf ihn wartete, kam eine erstaunliche Frau zu Besuch. Sie hieß Martina Fonseca und war eine Weiße, in die Form einer Mulattin gegossen, intelligent und unabhängig und wahrscheinlich die Geliebte des Dichters. Zwei oder drei Stunden lang genoss ich in vollen Zügen die Freuden des Gesprächs, bis César nach Hause kam und die beiden dann aufbrachen, ohne zu sagen wohin.
    Ich sah sie nicht wieder bis zum Aschermittwoch jenes Jahres, als ich aus dem Hochamt kam und sie auf einer Bank im Park auf mich wartete. Ich hielt sie für eine Erscheinung. Sie trug einen bestickten Leinenkittel, der ihre Schönheit noch reiner erscheinen ließ, eine bunte Kette und eine feurige Blume im Ausschnitt. Das Liebste an dieser Erinnerung ist mir jedoch die Art und Weise, wie sie mich zu sich einlud, ohne jeden Hinweis auf eine Absicht, ohne dass wir uns über das heilige Zeichen des Aschenkreuzes auf unserer Stirn Gedanken machen mussten. Ihr Mann, Maschinist auf einem der Flussdampfer des Magdalena, war auf seiner zwölftägigen Dienstfahrt unterwegs. Was sollte daran merkwürdig sein, dass seine Frau mich beiläufig für den Samstag zu einer Tasse Schokolade und Käseküchlein einlud? Außer der Tatsache, dass dieses Ritual sich das ganze Jahr über wiederholte, und zwar immer zwischen vier und sieben Uhr, zu der Zeit, in der im Kino Rex das Jugendprogramm lief, das mir bei Onkel Eliecer als Vorwand für die Besuche bei ihr diente.
    Sie hatte sich beruflich darauf spezialisiert, Grundschullehrer auf die Beförderung vorzubereiten. Die bestqualifizierten bewirtete sie in ihrer Freizeit mit Schokolade und Käseküchlein, so dass der neue Samstagsschüler der lauten Nachbarschaft nicht weiter auffiel. Erstaunlich war die Selbstverständlichkeit dieser heimlichen Liebe meiner fünfzehn Jahre, die von März bis November wild loderte. Nach den ersten zwei Samstagen glaubte ich, das wütende Verlangen, jederzeit mit ihr zusammen zu sein, nicht länger ertragen zu können.
    Wir liefen keinerlei Gefahr, da ihr Mann seine Ankunft im Hafen mit einem verschlüsselten Signal ankündigte. Das geschah am dritten Samstag unserer Liebe, wir lagen im Bett, als aus der Ferne das Tuten zu hören war. Sie war plötzlich angespannt.
    »Halt still«, sagte sie und wartete zwei weitere Signale ab. Sie sprang nicht aus dem Bett, wie ich es in meiner eigenen Angst erwartete, sondern fuhr unbeeindruckt fort. »Wir haben noch gute drei Stunden zu leben.«
    Sie hatte ihn mir beschrieben als »einen Mordskerl, schwarz, zwei Meter und eine Spanne lang, mit dem Rohr eines Kanoniers«. Ich war kurz davor, in einem Eifersuchtsanfall die Spielregeln zu brechen, und zwar nicht nur irgendwie: Ich wollte ihn töten. Sie löste das Problem mit ihrer Reife und führte mich von nun an wie einen kleinen Wolf im Schafspelz am Halfter durch die Klippen des wirklichen Lebens.
    In der Schule lief es schlecht, und ich wollte nichts davon wissen, doch Martina kümmerte sich dann auch noch um meinen schulischen Leidensweg. Sie war befremdet von dem Infantilismus, den Unterricht zu versäumen, nur um dem Dämon einer unbändigen Lebenslust zu huldigen. »Das ist doch logisch«, sagte ich, »wäre dieses Bett die Schule und du die Lehrerin, dann wäre ich nicht nur Klassenbester, sondern Schulbester.« Sie nahm es als treffendes Beispiel:
    »Genau so werden wir es machen.«
    Ohne allzu große Opfer widmete sie sich mit einem festen Stundenplan meiner Rehabilitierung. Sie sah meine Hausaufgaben durch und bereitete mich zwischen Bettgeschäker und mütterlichem Tadel auf die folgende Woche vor. Erledigte ich die Aufgaben nicht richtig und rechtzeitig, drohte mir beim dritten Mal als Strafe ein Samstagsverbot. Es kam immer nur zu zwei Verfehlungen, und meine Fortschritte fielen in der Schule auf.
    Was sie mir aber faktisch beibrachte, gehorchte einer unfehlbaren Formel, die ich leider erst später im letzten Jahr der Oberschule selbstständig anwandte: Wenn ich im Unterricht aufpasste und die Aufgaben selber machte, statt sie von meinen Klassenkameraden abzuschreiben, bekam ich gute Noten, konnte in meiner Freizeit nach Lust und Laune lesen und ohne erschöpfende Nachtarbeit und böse Überraschungen mein eigenes Leben führen. Dank dieses Geheimnisses war ich 1942 der Erste, erhielt eine Medaille für herausragende Leistungen und lobende Erwähnungen

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