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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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aller Art. Die vertraulichen Danksagungen heimsten jedoch die Ärzte ein, weil sie meinen Wahnsinn so gut kuriert hatten. Bei der Abschlussfeier wurde mir bewusst, dass in den vergangenen Jahren eine unangenehme Portion Zynismus in meinem bewegten Dank für unverdiente Lobpreisungen gelegen hatte. Nun, da das Lob mir verdient erschien, hielt ich es für anständig, nicht dafür zu danken. Aber ich revanchierte mich von ganzem Herzen mit dem Gedicht El circo von Guillermo Valencia, das ich bei der Abschlussveranstaltung ganz aufsagte, ohne Souffleur und verängstigt wie ein Christ vor den Löwen.
    In den Ferien jenes guten Jahres hatte ich vor, Großmutter Tranquilina in Aracataca zu besuchen, aber sie musste dann dringend nach Barranquilla, um sich am grauen Star operieren zu lassen. Die Freude, sie wiederzusehen, wurde durch das Lexikon des Großvaters vervollkommt, das sie mir als Geschenk mitbrachte. Es war ihr nicht bewusst geworden, dass sie allmählich das Augenlicht verlor, vielleicht hatte sie es auch nicht eingestehen wollen, bis sie sich nicht mehr aus ihrem Zimmer bewegen konnte. Die Operation im Hospital de Caridad ging schnell, und die Prognose war gut. Großmutter saß in ihrem Bett, als man ihr den Verband abnahm, öffnete die strahlenden Augen ihrer neuen Jugend, ein Leuchten ging über ihr Gesicht, und sie fasste ihre Freude in zwei Worten zusammen:
    »Ich sehe.«
    Der Chirurg wollte wissen, was genau sie sah, und sie fegte mit ihrem neuen Blick durchs Zimmer und zählte alles mit erstaunlicher Präzision auf. Dem Arzt stockte der Atem, und nur ich wusste, dass die von der Großmutter aufgezählten Gegenstände nicht diejenigen waren, die sie im Hospital vor sich hatte, sondern die aus ihrem Schlafzimmer in Aracataca, an die sie sich genau und in der richtigen Reihenfolge erinnerte. Sie hat nie wieder gesehen.
    Meine Eltern bestanden darauf, dass ich die Ferien mit ihnen in Sucre verlebte und die Großmutter mitbrachte. Seit dem letzten Besuch hatte sich ihr Zustand verschlechtert. Sie war stärker gealten, als die Jahre es geboten, und ihr Geist driftete ab, doch die Schönheit ihrer Stimme hatte sich noch verfeinert, und sie sang häufiger und inspirierter als je zuvor. Meine Mutter sorgte dafür, dass sie immer sauber und hübsch wie eine übergroße Puppe hergerichtet war. Ganz offensichtlich nahm die Großmutter die Welt um sich herum wahr, bezog sie aber auf die Vergangenheit. Besonders bei den Radiosendungen, die ein kindliches Interesse in ihr weckten. Sie glaubte, die Stimmen der verschiedenen Sprecher zu erkennen, die sie für Jugendfreunde aus Riohacha hielt, da nie ein Radioapparat in das Haus der Großeltern gekommen war. Sie verneinte oder kritisierte Kommentare der Sprecher, diskutierte mit ihnen über die unterschiedlichsten Themen oder tadelte irgendeinen Grammatikfehler, als ständen die Männer leibhaftig neben ihrem Bett, und sie ließ auch nicht zu, dass man sie umzog, solange die Freunde sich nicht verabschiedet hatten. Dann erwiderte sie mit ihrer ungebrochen guten Erziehung:
    »Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Señor.«
    Viele Rätsel verschwundener Dinge, ungelüfteter Geheimnisse oder verbotener Machenschaften klärten sich durch ihre Monologe: Wer die Wasserpumpe, die aus dem Haus in Aracataca verschwunden war, in einem Koffer versteckt mitgenommen hatte, wer der wirkliche Vater von Matilde Salmona gewesen war, deren Brüder ihn mit einem anderen verwechselt und es diesen dann mit Blei hatten büßen lassen.
    Die ersten Ferien in Sucre ohne Martina Fonseca waren für mich nicht leicht, aber es gab keinerlei Möglichkeit, sie mitkommen zu lassen. Schon der bloße Gedanke, sie zwei Monate lang nicht zu sehen, war mir unwirklich erschienen/Ihr aber nicht. Im Gegenteil, als ich das Thema ansprach, merkte ich, dass sie mir wie immer drei Schritte voraus war.
    »Genau darüber wollte ich mit dir sprechen«, sagte sie gera-deraus. »Das Beste wäre, wenn du woanders weiterstudiertest, denn wir beide sind jetzt schon reif für die Zwangsjacke. Damit du merkst, dass unsere Geschichte niemals mehr sein wird, als sie war.«
    Ich fasste es als Spaß auf.
    »Ich fahre morgen weg und komme in drei Monaten zurück, um bei dir zu bleiben.«
    Sie antwortete mir im Tangotakt:
    »Ha, ha, ha, ha!«
    Erst da begriff ich, dass Martina leicht umzustimmen war, wenn sie Ja gesagt hatte, nicht aber, wenn sie Nein sagte. Also nahm ich in Tränen aufgelöst den Fehdehandschuh auf und entschloss

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