Lebens-Mittel
Lebensmittel größtenteils zugunsten der Quantität und der Lagerfähigkeit aufgegeben.
Price stellte nicht fest, dass es nur eine einzige ideale Ernährungsform gab – er fand Populationen, die sich aus dem Meer oder von Milchprodukten oder von Fleisch oder überwiegend von Obst, Gemüse und Getreide ernährten und dabei gediehen. Die afrikanischen Massai aßen praktisch überhaupt nichts Pflanzliches, sondern lebten von Fleisch, Blut und Milch. Seefahrende Gruppen auf den Hebriden verzehrten keinerlei Milchprodukte; sie ernährten sich überwiegend aus dem Meer und von Hafer, den sie zu Brei und Kuchen verarbeiteten. Die Inuit, die er befragte, lebten von rohem Fisch, Wild, Fischrogen und Tran; irgendetwas auch nur entfernt Grünes aßen sie selten. Am Nil, in der Nähe Äthiopiens, stieß Price auf die seiner Meinung nach gesündesten Völker von allen: Volksgruppen, die von der Milch, dem Fleisch und dem Blut von Weidetieren und tierischer Nahrung aus dem Nil lebten. Price fand heraus, dass Gruppen, die sich vom Fleisch wilder Tiere ernährten, im Allgemeinen gesünder waren als die ackerbauenden Völker, die auf Getreide und andere Pflanzennahrung angewiesen waren; die Ackerbauern neigten zu einer etwas höheren (nach unseren Maßstäben aber immer noch niedrigen) Kariesrate. Price fiel auf, dass viele der von ihm besuchten Völker speziell Innereien sehr schätzten, in denen er einen hohen Spiegel an fettlöslichen Vitaminen, Mineralstoffen und »Aktivator X« feststellte; dieser von ihm erfundene Begriff steht wahrscheinlich für Vitamin K 2 . Fast überall, wo er hinkam, bemerkte er den hohen Wert, den Menschen der Nahrung aus dem Meer beimaßen; sogar Bergbewohner unternahmen große Anstrengungen, sie sich zu beschaffen: Sie machten Tauschgeschäfte mit Küstenbewohnern, um an getrocknete Fischeier und Ähnliches zu kommen. Aber der gemeinsame Nenner einer guten Gesundheit, so seine Schlussfolgerung, war eine traditionelle Ernährung, die aus frischer Nahrung von Tieren und Pflanzen bestand, die ihrerseits auf nährstoffreichen Böden groß geworden waren.
Price achtete besonders auf die Qualität der tierischen Nahrung und ihrer Beziehung zu dem, was diese Tiere fraßen. Er verglich den Vitamingehalt von Butter aus der Milch von Kühen, die auf Frühlingsweiden gegrast hatten, mit der von Tieren, die Winterfutter bekommen hatten; in der gelberen Butter der Weidetiere war nicht nur der Gehalt an Vitamin A und D höher, auch die Gesundheit der Menschen, die von diesen Tieren lebten, war besser. Price glaubte, die Bodenqualität sei der Schlüssel zur Gesundheit, und 1932 veröffentlichte er eine Abhandlung mit dem Titel »New Light on Some Relationships Between Soil Mineral Deficiencies, Low Vitamin Foods, and Some Degenerative Deseases« (»Neue Erkenntnisse über einige Zusammenhänge zwischen Mineralstoffdefiziten im Boden, vitaminarmen Lebensmitteln und manchen degenerativen Erkrankungen«).
Durch die Herstellung solcher Zusammenhänge zwischen der Bodenqualität, dem Gras und der Gesundheit des menschlichen Essers an der Spitze der Nahrungskette kritisierte Price die industrialisierte Landwirtschaft, die um 1930 gerade Fuß zu fassen begann. Damit war er nicht allein: Ungefähr zur gleichen Zeit behauptete auch der englische Agronom Sir Albert Howard, der philosophische Vater der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, dass die Industrialisierung der Landwirtschaft – insbesondere die Einführung des synthetischen Stickstoffdüngers, der die Bodenchemie vereinfachte – irgendwann zu Lasten unserer Gesundheit gehen würde. Howard drängte darauf, »dass wir das ganze Problem der Gesundheit von Boden, Pflanze, Tier und Mensch als ein einziges großes Thema« betrachten sollten. Als Howard diese Worte schrieb, waren sie kaum mehr als eine Arbeitshypothese; Weston Price hatte angefangen, sie mit empirischen Grundlagen zu unterfüttern.
Price bewegte sich auf eine ökologische Einstellung zu Ernährung und Gesundheit zu, die seiner Zeit weit voraus war. Er begriff, dass das Essen uns letztendlich mit der Erde und ihren Elementen verbindet und auch mit der Energie der Sonne. »Das Abendessen, das wir heute zu uns genommen haben«, sagte er in einem Vortrag von 1928 seinem Publikum, »war noch vor wenigen Monaten ein Teil der Sonne.« Industrienahrung verschleierte und dämpfte diese Zusammenhänge. Durch die Verlängerung der Nahrungskette, die notwendig war, um Großstädte von entfernt liegenden
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