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Lebens-Mittel

Lebens-Mittel

Titel: Lebens-Mittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Pollan
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Böden versorgen zu können, brachen wir die »Regeln der Natur« mindestens zwei Mal: Wir raubten den Böden, auf denen diese Nahrung gewachsen war, Nährstoffe und vergeudeten diese Nährstoffe dann, indem wir die Nahrung bearbeiteten. Im Gegensatz zu den von Price studierten eingeborenen Völkern, von denen viele sich bemühten, die Nährstoffe dem heimischen Boden zurückzugeben, auf den sie absolut angewiesen waren, »gibt unsere moderne Zivilisation extrem wenig von dem zurück, was sie entleiht. Große Flotten schaffen die begrenzten Bodenschätze weit verstreuter Gegenden auf ferne Märkte.« Renner dokumentiert, wie Price dazu kam, das Problem »Ernährung und Gesundheit« als ökologische Störung zu begreifen. Das industrielle Nahrungssystem unterbrach die Verbindungen zwischen den vor Ort vorhandenen Böden, Lebensmitteln und Menschen und damit den Kreislauf der Nährstoffe durch die Nahrungskette. Was auch immer die Vorteile des neuen industriellen Systems waren – die biochemischen Bedürfnisse des menschlichen Körpers konnte es nicht mehr befriedigen; weil er für eine Anpassung keine Zeit gehabt hatte, versagte er nun auf neue Weise.
    Auch wenn Sie nicht so weit gehen wollen wie Dr. Price – er und alle anderen, die Anfang des 20. Jahrhunderts die vorwestliche Ernährung erforschten, kehrten mit der gleichen einfachen, vernichtenden und kaum zu leugnenden Botschaft in die Zivilisation zurück: Das menschliche Tier ist an ein außergewöhnlich breites Spektrum unterschiedlicher Ernährungsformen angepasst und kann auf ihrer Grundlage offenbar gedeihen; die westliche Ernährung indes, egal wie Sie sie definieren, scheint nicht dazuzugehören.
    Nun, die ökologische Kritik an der industriellen Zivilisation, die Weston Price in den 1930er Jahren äußerte, überlebte den 2. Weltkrieg nicht. Der Raum für solche Schriften – der auch von Sir Howard und Lord Northbourne in England und den amerikanischen Agrariern besetzt wurde – fiel weg, kurz nachdem Price 1939 Nutrition and Physical Degeneration veröffentlicht hatte. Die Menschen waren die Angriffe auf eine »industrielle Zivilisation« leid, von der in Kriegszeiten ihr Überleben abhing. Als der Krieg vorbei war, hatte die Industriekultur ihren Einfluss gefestigt und an Selbstbewusstsein gewonnen. In den Jahren unmittelbar nach dem Krieg konsolidierte auch die industrialisierte Landwirtschaft (die von der – durch den Frieden ermöglichten – Umstellung von Munition auf chemische Dünger und von Nervengasforschung auf Pestizide profitierte) ihre Position; bald würde es keine andere mehr geben. Weston Price und seine Gefährten bei der Erforschung der Zivilisationskrankheiten waren weitgehend vergessen. Niemand war sonderlich daran interessiert, zurückzublicken oder ein Loblied auf die Weisheit primitiver Gruppen anzustimmen, die selbst schnell verschwanden oder assimiliert wurden; sogar die Aborigines zogen in die Städte.
    Die Zivilisationskrankheiten indes waren nicht verschwunden – die Herzkrankheitenrate explodierte sogar unmittelbar nach dem Krieg -, aber jetzt gerieten sie in den Zuständigkeitsbereich von moderner Medizin und reduktionistischer Wissenschaft. Das Vokabular des Nutritionismus wurde zur akzeptierten Terminologie, in der alle Diskussionen über Ernährung und Gesundheit geführt wurden. Erst als Ende der 1960er Jahre die ökologische Landwirtschaft aufkam, stellte man die industrielle Nahrungskette wieder in Frage.

3
     
    Die Industrialisierung des Essens: Was wir wissen
     
    Ich habe mich mit den fast vergessenen Gedankengängen von Menschen wie Weston Price und Sir Albert Howard – die sich die menschliche Nahrungskette vom ökologischen Standpunkt aus angesehen haben – so ausführlich beschäftigt, weil sie uns einen Ausweg aus den engen und letztendlich nicht hilfreichen Grenzen des Nutritionismus – der Lebensmittel nur in Bezug auf ihre chemischen Bestandteile sieht – zeigen können. Was wir heute brauchen, ist eine umfassendere, ökologischere – und stärker kulturell verhaftete – Einstellung zum Essen. Lassen Sie uns ihre groben Umrisse skizzieren.
    Was würde passieren, wenn wir Nahrung weniger als Ding und mehr als Beziehung sehen würden? In der Natur war das Essen nämlich genau das: die wechselseitige Beziehung von biologischen Arten in Systemen, die wir Nahrungsketten oder Nahrungsnetze nennen und die bis hinunter in den Boden reichen. Arten entwickeln sich zusammen mit anderen Arten, die sie

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