Lebens-Mittel
einfachen chemischen Verbindungen abgebaut werden – Mais etwa wird überwiegend in einfache Zucker zerlegt -, sind die Eigenschaften des intakten Lebensmittels nicht unwichtig. Menge und Struktur der Ballaststoffe in diesem Mais bestimmen zum Beispiel, wie schnell die in ihm enthaltenen Zucker freigesetzt und resorbiert werden, was, wie wir wissen, für den Insulinstoffwechsel entscheidend ist. Chemiker werden Ihnen sagen, dass die im Mais enthaltene Stärke im Blut zu Glucose wird, aber diese reduktive Auffassung übersieht den komplexen und variablen Prozess, durch den dies geschieht. Entgegen den Angaben auf dem Etikett sind nicht alle Kohlenhydrate von Natur aus gleich.
Anders gesagt: Unser Körper hat eine lange und kontinuierliche Beziehung zu Mais, nicht aber zu fructosereichem Maissirup. Eine solche Beziehung zu Maissirup könnte vielleicht irgendwann zustande kommen (wenn die Menschen übermenschliche Insulinsysteme entwickeln würden, die regelmäßige Überschwemmungen mit reiner Fructose und Glucose bewältigen könnten 19 ); im Moment jedoch führt diese Beziehung zu einer schlechten Gesundheit, denn unser Körper weiß nicht, wie er mit diesen biologischen Neuheiten umgehen soll. Aus dem gleichen Grund kommen menschliche Körper zwar mit gekauten Coca-Blättern zurecht – weil diese Beziehung zwischen Einheimischen und der Coca-Pflanze in Teilen Südamerikas seit langem besteht -, nicht aber mit Kokain oder Crack, obwohl alle drei Substanzen den gleichen Wirkstoff enthalten. Der Reduktionismus – die Reduzierung von Nahrungs- oder Drogenpflanzen auf ihre hervorstechendsten chemischen Verbindungen – als Methode zum Verständnis von Lebensmitteln oder Drogen mag harmlos und sogar notwendig sein; in der Praxis erweist er sich oft als problematisch.
Der ökologische Blick auf das Essen und die Lebensmittel macht deutlich, was die westliche Ernährung eigentlich ist: ein Komplex radikaler und zumindest in evolutionärer Hinsicht abrupter Veränderungen, die in den letzten 150 Jahren nicht nur über unsere Lebensmittel, sondern auch über unsere Beziehungen zu ihnen hereingebrochen sind und vom Boden bis auf den Teller reichen. Der Aufschwung der nutritionistischen Ideologie ist letztendlich ein Teil dieser Veränderung. Mit der »Umwelt« einer Spezies assoziieren wir gewöhnlich Begriffe aus der Geografie oder Beutetier und Beute oder das Klima. Aber eine der wichtigsten Komponenten der Umwelt eines Geschöpfes ist natürlich die Art der ihm zur Verfügung stehenden Nahrung und deren Beziehungen zu der Spezies, die sie isst. Wenn die Umwelt eines Geschöpfes sich ändert, aus der es seine Nahrung bezieht, steht deshalb viel auf dem Spiel. Die erste große Veränderung für uns Menschen fand vor zehntausend Jahren mit dem Aufkommen der Landwirtschaft statt. (Die verheerende Folgen für unsere Gesundheit hatte und zu einer ganzen Schar von Mangelerscheinungen und Infektionskrankheiten führte, die wir im Großen und Ganzen erst im letzten Jahrhundert unter Kontrolle gebracht haben.) Die größte Veränderung unserer Nahrungsumwelt seitdem? Das Aufkommen der modernen Ernährung.
Wenn wir das Wesen dieser Veränderungen besser verstehen, wird klarer, wie wir unsere Beziehung zum Essen verändern können – zum Besseren, für unsere Gesundheit. Die Veränderungen waren zahlreich und einschneidend; fünf fundamentale möchte ich beschreiben. Alle fünf sind umkehrbar, vielleicht nicht unbedingt im Ernährungssystem als Ganzes, aber doch im Leben und in der Ernährung des einzelnen Essers. Und zwar, wie ich hinzufügen möchte, ohne in den Busch zurückkehren oder wieder als Jäger und Sammler leben zu müssen.
1) Von ganzen zu raffinierten Lebensmitteln
Das, was mit dem Mais passiert ist, verdeutlicht ein charakteristisches Merkmal der modernen Ernährung: die Verlagerung hin zu immer stärker raffinierten Lebensmitteln, vor allem Kohlenhydraten. Spätestens seit der industriellen Revolution haben Menschen Getreidekörner »verfeinert« und Auszugsmehl und polierten Reis dem Mehl und dem Reis aus dem vollen Korn vorgezogen, auch wenn dadurch Nährstoffe verloren gingen. Warum? Zum Teil aus Prestigegründen: Weil sich viele Jahre lang nur die Wohlhabenden raffinierte Getreide leisten konnten, wurden sie zu etwas Besonderem. Raffinierte Getreide sind länger haltbar (eben weil sie für die Schädlinge, die mit uns um die Kalorien konkurrieren, weniger nahrhaft sind) und leichter verdaulich, denn die
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