Lebensabende & Blutbaeder
abgelaufene? Und wer weiß, geht er noch einen Schritt weiter beim Wissen-Wollen, vielleicht werden es ja seine letzten Weihnachten überhaupt sein?
Er weiß es nicht.
Trotz der gewaltigen Waschküche, durch die er reitet, nimmt er dann wieder die forciert aerodynamische Haltung ein, schaltet in die Vierte und gibt ordentlich Gas. Er will die ungeplante Nachtschicht schleunigst hinter sich bringen und nach dem Gespräch mit dem Schlevsky endlich ein verdientes Frühstück bei der Roswitha zu sich nehmen. Er hofft wirklich inständigst, dass sie sich an die Kost-Logis-Abmachung zwischen ihnen beiden hält und sie nicht das ganze Bratlfett selbst gegessen hat, das hofft er bei dem Hunger, den er mittlerweile beisammen hat, wirklich sehr sehr inständig. Am liebsten täte er jetzt auf der Stelle eine halbe Sau essen, selbstverständlich eine tote und gebratene, mit einem schönen Krusterl drumherum.
Aber zuerst müssen die zwei Handtascherln entsorgt werden, bevor sie vielleicht wieder ein Rotzbub stehlen könnte oder – noch schlimmer! – ihn irgendwer mit ihnen sieht. Da täte er am Ende noch in den Geruch falscher sexueller Ausrichtung kommen, wenn ihn einer mit zwei Handtascherln sehen täte, und das braucht er jetzt im fortgeschrittenen Alter auch nicht mehr, nicht das Kainsmal falscher sexueller Ausrichtung! Genügt eh, wenn alle „Nur Bier, nie Möse!“ über ihn sagen, genügt eh, dass er auch diesmal wieder nicht bei der Anni hat landen können.
Also bremst er sich jetzt ganz hinten beim See abrupt ein. Genau da im See sollen die Handtaschen ihre ewige Ruhe finden, hat er entschieden. Genau da wird er sich von den Werkzeugen des Bösen verabschieden, den Auslösern von der ganzen blöden Geschichte, die er sich wirklich gerne erspart hätte.
Aber, muss er sich jetzt selbst ein bisserl den Wind aus den Segeln nehmen und die Kirche im Dorf lassen:
Gott sei Dank ist ja nichts wirklich Horrendes passiert!
So ein Handtascherlraub ist ja im Vergleich zur Verbrechensexplosion in anderen Regionen vom Bundesgebiet ein Komantschenpfiff im Wald. Da kann Aussee ja wirklich von Glück reden, dass es nicht zuletzt dank seiner Umsicht und dank seiner gewissen Erfahrung weder Chicago geworden noch zu einem Wintersportgebiet verkommen ist, in dem sich dauernd alle Besoffenen nur die Schädel einhauen und sie ein Blutbad nach dem anderen einlassen. Da kann Aussee wirklich von Glück reden, dass die Blutbäder als solches praktisch keine Rolle mehr spielen, seit die Biermösels hier den Sheriffstern tragen.
Weil die Pflicht als Gendarmerie ihn aber zwingt, in eine Handtasche hineinzuschauen, bevor er sie wegwirft, holt er jetzt doch den Ausweis aus dem Damenhandtascherl heraus und liest ihn mit der gewissen Routine der erfahrenen Gendarmerie von unten nach oben, weil die interessanten Sachen in einem Ausweis natürlich immer unten stehen, und von unten nach oben steht da:
Ausweisnummer: 9993Jddsle909 Sozialversicherungsnummer: OEsJF3949SVR Erlernter Beruf: Frisöse
Wohnort: Furzenbüttel (Anmerkung Biermösel: Haha! Hihi!)
geb. 1922 Augenfarbe: blau
Haarfarbe: blond (Anmerkung Biermösel: Lüge)
Größe: 161 cm
Name: Maria Schlevsky (Anmerkung Biermösel: Da schau her!)
Sind die zwei eventuell sogar verwandt, fragt sich der Biermösel jetzt, der Schlevsky oben am Gebirgshang, und die Schlevsky herunten in ihrer deutschen Regenhaut? Dazu vielleicht von ihm nur zwei Worte: „Mir wurscht!“
Er wird sich jetzt nicht noch eine zusätzliche Aufgabe um den Hals hängen und vielleicht eine Verwandtschaftszusammenführungen auch noch organisiert, er nicht!
Nichtsdestotrotz wird dem Biermösel das ganze persönliche Drama dieser weiblichen Sexbestie, als die er sie mittlerweile bezeichnen muss, augenblicklich klar. Und sofort nach Studium von ihrem Ausweis erschließt sich ihm der ganze Kosmos der verzweifelten Ausschweifungen, in dem die Dame als Trägerin von diesem Namen automatisch gefangen sein muss, und er ermisst die gesamte Tragik ihrer sinnleeren Existenz.
Ist es möglich, fragt sich der Biermösel jetzt im Angesicht von dieser Erkenntnis, während er einen ordentlichen Schluck aus der Flasche nimmt, ist es möglich, dass die schlichte Namensgleichheit zwei Menschen zu Gefangenen von ein und derselben Krankheit macht, obwohl das eine Sexmonster laut Ausweis aus Furzenbüttel stammt, der andere Sexsüchtige aus Berlin?
Sex! Sex! Sex!, schreit der Biermösel abermals innerlich aus sich heraus. Gibt es denn
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