Lebensbilder I (German Edition)
schwelgen liebst. Sei nicht, was du schilderst. An deinem Kleide, an deinem Körper ist jedes Stäubchen, jedes Fleckchen dir widrig, lästig, unbequem: bist du selbst nicht mehr als dein Kleid? Warum denn dein Inneres nicht zu der Reinheit, Güte, Kostbarkeit erheben, welche Gott lehrt?«
Mit jeder Silbe wuchs Raphaels Erstaunen. »Wunderwirksam ist der Mund«, sagte er leise, »der das erste Heil uns lehrt.«
»So sprach mein Lehrer«, wiederholte Pauline, »und bald nahte seine letzte Stunde. Ich hatte mir die Sorge für den Todkranken nicht nehmen lassen. Als der Todeskämpf eintrat, – oh, er litt fürchterlich! – betete und pries er Gott, bis ihm die Stimme versagte. Ich war entsetzt und erschüttert am Fuße seines Bettes in die Knie gesunken und sagte ein Vaterunser in Herzensangst: er nickte mir zu, und als er dies auch nicht mehr vermochte, winkte er mit der Hand. Ich betete, so laut ich konnte, bis er verschieden, bis er verklärt, selig und weiß dalag, und ich wünschte mir, dir, der Mutter, allen Menschen solch eine Todesstunde. In allen Schmerzen, die er litt, besiegelte er sterbend vor meinen Augen die Wahrheit seiner Lehren. – Aber, Raphael, wozu hast du mich vermocht? Du sagst, ich liebe dich nicht: o freilich liebe ich dich, und die Kränkung, die ich erlitt, vermochte mich zu solcher Redseligkeit, das Mitleid mit mir selbst, weil du so ungerecht gegen mich sein konntest, denn meine Zunge ist zu arm, um verkünden zu wollen, was er mich lehrte.« – Nach diesen Worten wollte sie verschämt entfliehen.
»Bleib, bleib. Pauline!« rief Raphael, »flieh, verlasse mich nicht: ich bin unglücklich, wo ich dich vermisse, du bist besser, kluger, tieffühlender als ich.« Mit einem Schrei unterbrach er seine Rede: »Gott sei mir gnädig! Was Hab ich gesagt!«
»Raphael, was ist dir? du bist bleich, zitterst, blickst irre!«
«Gib acht! Gib acht!« stöhnte Raphael konvulsivisch. »Mir ahnt Entsetzliches! Es ist der dritte Tag!«
In diesem Augenblick ließ sich das Scharren schwerer Tritte im Sande vernehmen: der Gärtner trat in den Saal.
»Mein Todesurteil!« lispelte Raphael.
»Was hat Er, was will Er?« fuhr Pauline mit ungewohnter Heftigkeit ihn an.
«Eine ganz besondere Seltenheit, mit Erlaubnis des gnädigen Herrn und der gnädigen Frau!« antwortete Etienne, der Gärtner. »Ich zog eben einen Eimer Wasser aus dem Brunnen, da schwamm dies seltsame Seegewächs oben auf. Hier ist es. Es ist nicht naß, noch feucht; das verträgt Wasser und ist doch nicht fett; das blitzt wie Silber und ist faul wie Moder: das ist leicht und schwimmt oben auf, und ich mag rütteln und reiben, es ist nicht zu vernichten.«
«Gib!« rief Raphael und hielt das Elendsfell, zur Größe eines Blumenblättchens verschrumpft, in der flachen Hand.
«Mir ist dergleichen noch nicht vorgekommen«, sagte Etienne: «aber der Herr Marquis sind unstreitig gelehrter als ich.«
»Geh Er, Etienne!« gebot Pauline. «Er sieht, mein Mann ist nicht wohl!«
Der Gärtner entfernte sich mit schweren Tritten. Totenstille herrschte im Gartensaal.
«Um Gott, Raphael!« flehte Pauline ängstlich, »du gleichst einer Leiche, deine Augen treten aus ihren Kreisen, dein Haar starrt! Ich rufe Hilfe! Raphael, dies übernatürliche Wallen der Brust verkündet Tod!«
»So ist's, Engel; bete für mich! Ich bin eine Leiche – dies Blättchen mißt mein Leben. Es war einst so groß, daß ich's in der Rocktasche mit Mühe nur verbarg; jetzt – verzehrt, vermodert, gib acht, wie es aus meiner flachen Hand schwindet, ist's aus mit mir.«
»Jonathan.« rief Pauline, »zu Hilfe, zu Hilfe!«
»Still!« gebot Raphael, »wenn du mich liebst. Nur du sollst um mich sein, wenn ich sterbe.«
»Aber du rasest, bester Raphael!«
In diesem Augenblick machte ein Blutsturz seiner fürchterlichen Beklemmung Luft. Er ließ sich langsam in den Sessel fallen und stöhnte: »Rase ich?«
Von neuem wollte Pauline Hilfe rufen, aber mit der Angst der Hölle flehte Raphael: »Bete, Pauline, mein Leib ist hin! Rette meine Seele!«
Sie kniete nieder, bald fühlte er ein wenig sich erleichtert.
Er winkte sie zu sich, lehnte seinen Kopf in ihre Arme. Mit wenigen Worten erklärte er ihr sein tödliches Geheimnis, und auf welche Weise er zum Besitz desselben gekommen. »Ich bin das Opfer phantastisch-sinnlicher Begierden,« so schloß er: »alle Schätze des Herzens und des Geistes, der Welt mit allen ihren Freuden wollte ich über mein Leben häufen und
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