Lebensbilder I (German Edition)
Feinheiten der psychologischen Ausmalung, die so sehr subtilster Strichelkunst gleichen, kümmerte sich nicht um die bis ins Kleinste vorschreitende Beobachtung der zartesten Einzelheiten und verstand es namentlich nicht, – was Balzac so meisterhaft konnte – aus Kleinigkeiten, die der Franzose seinen Frauengestalten absah, eine Welt von Wundern aufzubauen, aus denen diese zusammengesetzt sind. Schiff stand bei der Porträtierung von Frauen noch immer auf der Stufe, wie etwa die Scudery, die Schönheiten auf Schönheiten häufte, wenn sie ein weibliches Wesen beschrieb. Diese Methode kannte Balzac nicht, dem selbst kleine Monstrositäten, wenn sie nur pikant und apart wirkten. nicht ungeeignet erschienen, eine Frau im ganzen als schön erscheinen zu lassen. Solche extravagante Details verbannte Schiff regelmäßig: Frauen mußten bei ihm einem vulgären Romanschönheitsbegriffe entsprechen, um sein dichterisches Gefallen zu finden. Dies ist wieder nicht realistisch, sondern romantisch und bedeutet eine arge Verkennung der ihreWege gehendenSchilderungskunst Balzacs. –
In den »Lebensbildern« macht sich allenthalben diese schrankenlose Willkür geltend. Sie soll nicht an allen Erzählungen aufgezeigt werden – die den »Anhang« des Bandes bildende »Das Abenteuer« ist übrigens gar nicht Balzac nachgebildet – ein Beispiel wird Schiffs Verfahren genügend veranschaulichen. »Die Blutrache« (»La Vendetta«) sei zu diesem Zwecke herangezogen. Das Thema war Schiff außer durch Balzac von anderer Seite nahe gebracht. Er wird kaum des älteren Stefanie fünfaktiges Drama »Die Liebe in Korsika oder welch ein Ausgang« (Wien 1770) gekannt haben, sicherlich aber Chamissos Gedicht »Maleo Falcone« und das im »Morgenblatt« (1830. Nr. 61 – 64) veröffentlichte »korsische Sittengemälde« »Mateo Falcone«, möglicherweise Prosper Mérimées Novelle »Mateo Falcone« und dessen »Colomba«, die ein ähnliches Motiv wie Balzacs »Vendetta« enthält. Mit seiner Vorlage verfuhr Schiff in freiester Weise. Er machte aus dem brutalen, atemlos dem tragischen Ende zustrebenden Charakterdrama Balzacs eine rührselige deutsche Famllienkomödie, in der er alles nicht durchaus Stoffliche sorglos beiseite schob. Es mag hingehen, daß er von Luigi Portas Jugendtagen im Hause Colonnas nichts mitteilt. Aber charakteristisch ist es schon, daß Ginevra in der Nachdichtung nicht erst im Hause der Frau Servin Zuflucht sucht und dort eine arge Demütigung erfährt. Dieses Detail, dem Balzac sicherlich Bedeutung beimaß, erschien Schiff wohl als unnötige Kränkung des Mädchens. Dafür läßt er über dieses von dem Vater einen gräßlichen Fluch sprechen, während dieser bei Balzac nicht die Kraft zu einem Fluche aufbringt. Dieses Motiv war ältestes Gut der larmoyantesten Familienromanschreiber, erschien also Schiff für seine daran gewohnten deutschen Leser als kein unwirksames Rührmittel. Die Hochzeitsfeierlichkeit, die im Original wiederholt zu den peinlichsten seelischen Mißhandlungen Ginevras führt, schildert Schiff ganz knapp; wieder bäumt sich seine Sentimentalität gegen Verunglimpfungen des Mädchens auf. das bei ihm ungekränkt zum Altar geht. Auch die Jahre des ehelichen Zusammenlebens, das harte Aufreiben im Kampfe um Erwerb fehlt bei ihm vollständig. Gerade diese Szenen gehören aber zu den packendsten Eingebungen des französischen Dichters, der mit unerbittlicher Realistik jede Phase des ertötenden Ringens um des Lebens Unterhalt – sicherlich aus eigener Erfahrung – schildert. Wenn Schiff alle diese wesentlichen Einzelheiten fortläßt, versündigt er sich aufs schwerste an dem festgefügten Bau der Novelle Balzacs. Aber in dieser Form war sie ihm zu unheimlich wahr: daß man infolge des Mangels an dem Nötigsten zugrunde gehen könne, wollte er den an verlogene deutsche Romane, in denen Geldnot immer durch einen deus ex machina beseitigt wird, gewöhnten Lesern nicht erzählen. So bleibt also von der erschütternden sozialen Tragödie, in der zwei arbeitsfreudige Menschen, die nicht wie Gerstenbergs Ugolino in einen Hungerturm gesperrt sind, Hungers sterben, nichts übrig als eine in larmoyanter Empfindelei aufgehende Familiengeschichte. Ginevra und Luigi verspüren bei Schiff nicht des Lebens Grausamkeit: sie stirbt im Wochenbette. Daß Luigi, gerade als die Not am höchsten ist, zu Gelde kommt und jetzt seine Frau vor dem Hungertode erretten könnte – eine unheimlich tragische Szene voll
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