Lebensbilder I (German Edition)
Gedankengängen des Ausländers vordrangen und gewiß diesen niemals umzuarbeiten versuchten. Von solchen Ideologien, wie sie nur ein romantischer Phantast vom Schlage Schiffs wagen konnte, hielten sich die phantasielosen (und oft ach! so geistlosen) Übersetzer alle fern. Sie waren trockene Pedanten, die am Worte klebten, wie Theodor Hell, der schon 1833 den »Grafen Chabert« in ein mühseliges Deutsch übertrug, wofür ihm Laube in der »Zeitung für die elegante Welt« (1833, Nr. 148) in der ungestümen Weise seiner draufgängerischen Jugend mit Recht den Text las [Fußnote: 1836 übertrug Hell »Seraphita«; dasselbe Werk in demselben Jahre ein F. von R. (Stuttgart). ] : der Vielschreiber O.L. B. Wolff und die Vlelschreiberin Fanny Tarnow durften nicht zurückstehen und ließen «Neue Erzählungen« (Leipzig 1833) und »Eugenie« (»Ein Genrebild« schrieb sie geschmackvoll darunter; Leipzig 1835) erscheinen. »Vater Goriot« wurde von einem Friedrich von R. »ein Familiengemälde aus der höheren (!) Pariser Welt« genannt (Stuttgart 1835), dem «Israeliten« pfropfte ein Or...n (Leipzig 1840) ein gedankenloses Nachwort auf, » Le Médicin de campagne « erschien (Berlin 1837) in einer durch Karl von Lützow bewerkstelligten Form, in der man das Original kaum wiedererkennen kann« [Fußnote: Nicht besser ist eine Übersetzung von Alexander Gonzaga (?), 1836, Seite 283 ff. in der Prager Zeitschrift »Erinnerungen«. ] . »Balzacs erzählende Schriften, teutsch bearbeitet von Friedrich Seybold (Stuttgart und Leipzig 1836) sind unkünstlerische, mechanische, von Gallizismen strotzende, jedem feineren deutschen Sprachgefühle hohnlachende wörtliche Wiedergaben, denen nur das eine nachzurühmen ist, daß sie darauf verzichten, Balzac willkürlich umzuarbeiten. Dieses Urteil trifft auch die bei Gottfried Basse (Quedlinburg und Leipzig 1845) erschienene Ausgabe von »Honoré de Balzacs sämtlichen Werken«, die nur eine bescheidene Auslese alles dessen, was wir von Balzac besitzen, enthält.
Außer diesen Buchübertragungen (von anderen, wie »Die alte Jungfer«von L. Frey, Breslau 1838, »Beatrix«, anonym. Wesel 1840, »Der Gewürzkrämer« und «Die Musterdame«, beide anonym, Stuttgart 1839, unter dem Gesamttitel »Die Franzosen der neuesten Zeit«, spricht man am besten gar nicht), gibt es viele in Zeitungen erschienene, die meistens nur arge Versündigungen am Werke Balzacs bedeuten. In der Zeit der ungeschützten Übersetzerbefugnis machte sich eben jeder halbwegs des Französischen Mächtige daran, den wundervollen Stilkünstler Balzac barbarisch, ohne jedes tiefere Eingehen auf seine nuancierten Eigenheiten dem deutschen Publikum vorzuführen. So entstanden Übersetzungen, wie die in den von schamlosestem Nachdrucke und widerrechtlichen Ubersetzungen lebenden »Lesefrüchten«, die Dr. Pappe in Hamburg durch mehr als 30 Jahre herausgab. Hier findet man »Ein grausames Geschick« (1841, III. Band, Seite 241 ff.), den famosen »Gobseck« (von Schiff ausgezeichnet mit »Trockenschling« in dem Lebensbild »Der Geizhals« übersetzt), der den urbanalen Titel »Die Gefahren einer schlechten Aufführung«, womit die triviale Mache dieser Übersetzung genügsam charakterisiert ist, bekommt (1841, III. Band, Seite 241 ff.) und »Zwei Träume« (1843, IV. Band, Seite 209 ff.). All diese jämmerlichen Übertragungen Balzacs konnten den Deutschen, die den großen Romandichter nicht in seiner Sprache lasen, nur schwache Begriffe seiner machtvollen Kunst eröffnen. Aber sie waren, so unerträglich sie samt und sonders heute anmuten, noch immer erträglicher als die kritischen Beurteilungen, denen Balzac in Deutschland ausgesetzt war. Was die »Blätter für literarische Unterhaltung« zweimal sagten (1835, Seite 27 ff. und 1837, Seite 110), war wenigstens von dem ehrlichen Willen erfüllt, auf des französischen Dichters Intentionen einzugehen. Aber abgeschmackt und lächerlich wirken Charakteristiken, wie die im Berliner »Freimütigen« (1833, Nr. 55; die erste eingehendere , die überhaupt in Deutschland erschien, und die deshalb ihren historischen Wert besitzt) oder im »Literaturblatte des Morgenblattes« (1836, Nr. 76). Dort meinte W. von Lüdemann von Balzac: »Balzac mit seiner sinnlich-tiefen, philosophisch-phantastischen, erschütternd-lehrreichen Erfindungsgabe! Balzac gehört wie Sue zu den Verzweifelnden, die die menschliche Gesellschaft für rettungslos halten, während V. Hugo, Janin und andere zu den
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