Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Music, too«?
Unverkrampfter, lockerer Small Talk, wie ihn der coole Mai mit Bravour beherrschte, war bei mir eine einzige Katastrophe, da hätte ich ihr auch die Börsenkurse vorlesen können.
»Weißt du, damals, äh, das mit meinem Verband … das war gar keine Verletzung von einer Schlägerei«, stotterte ich.
»Ich weiß …«, sagte Hanna und trank noch einen Schluck.
»Hä?«, war das Einzige, was mir dazu einfiel, auch wenn etwas eloquentere Antworten durch meinen Kopf schossen.
»Woher?«, stammelte ich, um meinem Satz zumindest einen Anstrich von Sinnhaftigkeit zu geben.
»Als ob du dich geprügelt hättest …«, sagte Hanna und lächelte spöttisch. »Du bist doch auch ein Lehrerkind – und wir Lehrerkinder machen so etwas nicht.« Tiefe Resignation machte sich in ihren Worten breit. Gut, sie hatte recht, eine Prügelei würde meinen Status als Paria des Schulhofs auch nicht gerade verbessern. Aber ein gut platzierter Schlag – so riet mein Vater damals, als er mir Chuck-Norris-Tipps im Kampf gegen Michael Robencek gegeben hatte – war selten verkehrt.
»Na ja, ich wollte dir damals eigentlich einen Brief schreiben … deshalb hatte ich den Verband!«, versuchte ich erneut, mich zu erklären, mit mäßigem Erfolg, wie ich an Hannas ratlosem Gesicht ablesen konnte.
»Weißt du«, setzte ich erneut an, »bald haben wir die Schule hinter uns, den ganzen Druck, der auf uns lastet, die ganzen Erwartungen, endlich ist das vorbei, und wir werden in alle Richtungen auseinandergehen«, formulierte ich haarscharf an der Grenze zum peinlichen Pathos entlang.
»Vorbei? Keine Erwartungen mehr? Meinst du das ernst?«, lachte Hanna laut auf und sah mich zweifelnd an. »Glaubst du denn, deine Eltern hören plötzlich auf damit, jeden Tag zu Hause Elternsprechtag abzuhalten? Nur weil du gerade mal das Abitur geschafft hast? Und außerdem: Was haben wir denn schon geleistet? Jetzt geht es doch erst richtig los. Wir wollen es später schließlich einmal so gut haben wie unsere Eltern. Und von nichts kommt schließlich nichts.«
Mich schüttelte es. Denn vor mir saß plötzlich nicht mehr die zauberhafte, charmante und schlaue Hanna – sondern eine Zahnarztgattinnen-Anwärterin, die bereits auf die Doppelgarage zu sparen schien.
»Na ja, auf jeden Fall wollte ich dir noch was sagen. Also, der Brief, den ich dir schreiben wollte, äh, da war ein Gedicht für dich drin«, bog ich die deutsche Sprache über Gebühr. Mein Vater hätte sofort »drin« rot angestrichen und danebengeschrieben: »Ein Gedicht kann nirgendwo ›drin‹ sein, Bastian, da es ein literarisches Konstrukt ist!«
»Ein Gedicht?«, fragte sie, und man konnte etwas von der alten Lieblichkeit in ihren Augen aufglimmen sehen.
»Ähm, ja, ich habe es für dich geschrieben, magst du es hören?«
»Du hast es dabei?«
»Äh, ja, zufällig«, war meine ziemlich bescheuerte Antwort. Nebenbei trug ich für den Notfall auch immer eine Brockhausenzyklopädie, einen Autoreifen und ein Zwölfmannzelt mit mir herum.
Plötzlich verstummten selbst das Rauschen der Straße und das ungelenke Zupfen der Gitarre. Ich sammelte mich, mein ganzer Körper schien angespannt, ich konnte meinen Atem hören, und mein Herz schien sich in meiner Brust zu überschlagen. Ich fingerte den Zettel aus meiner Hosentasche, entfaltete ihn und fing an zu lesen, ohne ein weiteres Mal zu Hanna aufzusehen.
»Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bog…
»Stopp, stopp, stopp …«, sagte Hanna und winkte ab, als müsste sie meine Worte wie einen Schwarm Schmeißfliegen verscheuchen. »Was meinst du damit?«
»Na ja, jetzt, wo die Schulzeit bald vorüber ist …«, stammelte ich, »und … und, äh, uns nicht mehr so lange Zeit bleibt, wollte ich, also, da wollte ich einfach mal fragen, ob du vielleicht, äh, meine Freundin sein willst.«
So, jetzt war es raus – auch wenn das Gesagte eher wie ein Interview mit Boris Becker klang als nach einer Liebeserklärung.
»Deine Freundin werden? Wem soll das denn nützen? Ich kann so was nicht gebrauchen!«, wehrte Hanna ab und schaute mich vorwurfsvoll an.
»Wie, so was?«, fragte ich und spürte, wie mir
Weitere Kostenlose Bücher