Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Begrüßung, Blasinstrumente zu benennen.
»Hello there, Flöte«, erwiderte ich daher unsicher und grinste verlegen.
Wenn es keinen zweiten ersten Eindruck gab, konnte ich nur noch hoffen, dass es vielleicht einen dritten gab, sonst war das Projekt Schüleraustausch jetzt schon gescheitert. Taylor musterte mich ebenso kritisch wie ich ihn.
»Are you gay?«, beendete er seine Inspektion meines maroden Körpers, der im Gegensatz zum britischen Stahlfleisch wie kurz vor der Zwangsräumung wirkte. Sein Finger zeigte auf mein T-Shirt, auf dem Alf in Badehosen aus einem Cocktailglas trank, ich fand das Motiv irgendwie hip, Taylor nicht.
»No, it’s Alf, the Alien with the long nose, you know?«, versuchte ich den Kulturtransfer und zeigte auf meine Nase, was sich sehr schnell sehr dämlich anfühlte.
»Do you like sports?«, fragte Taylor und beantwortete sich die Frage gleich selbst mit einem Blick auf mein kuscheliges Bäuchlein. Mit meinem Körper wurde man vielleicht Weltmeister im Pfahlsitzen, von Sport konnte nicht die Rede sein. Ich schüttelte den Kopf, die erste Antwort des Tages, die ich mit Bestimmtheit geben konnte. Es stellte sich heraus, dass man mir mit Taylor den Star der Rugbyjugendauswahl seiner Schule geschickt hatte. Rugby, die englische Antwort auf nonverbale Kommunikation, war der so ziemlich härteste Sport der Welt und für jemanden wie mich, der sich schon beim Minigolf beachtliche Fleischwunden zuziehen konnte, nicht gerade die erste Wahl. Na ja, vielleicht wurden wir ja trotzdem Freunde.
»Do you want to shower at my home?«, fragte ich gastfreundlich, fast zwei Tage Busfahrt mussten doch ziemlich anstrengend gewesen sein.
Ruckartig packte mich Taylor am Kragen und zog mich zu sich hinauf. Mein Alf-T-Shirt verrutschte, und unter dem schmerbäuchigen Besucher aus Melmac lugte ein echter irdischer Bauch hervor. Irgendetwas schien im Dialog verloren gegangen zu sein.
»Don’t fuck with me, gayboy«, spuckte mir Taylor ins Gesicht. Okay, mein Austauschschüler war ein Psychopath. Na ja, vielleicht wurden wir auch keine Freunde.
A perfect Family
Als wir in unsere Straße einbogen, warteten meine Eltern schon im Vorgarten unseres Reihenhauses und grinsten wie die Manson-Familie. Mein Vater hatte seinen Arm um meine Mutter gelegt, zur Feier des Tages trug er einen Schlips, auf dem ein Comicpinguin auf eine Leiter kletterte. Auch nicht besser als Alf. Meine Mutter, ebenfalls sehr aufgekratzt, trug ein Sommerkleid und ihre schicksten Pumps. Sie schienen sich richtig auf die Völkerverständigung zu freuen. Wie sie da strahlend vor dem Reihenhaus standen, wirkten sie allerdings ein wenig wie Versuchspuppen für einen Atomwaffentest.
Taylor hatte die gesamte Busfahrt zu uns nach Hause nicht viel von Verständigung gehalten und kein Wort mit mir gesprochen. Auch meine Versuche als Touristenführer durch Gelsenkirchen (»Look over there, that’s the Arbeitsamt, most of the people go there daily« oder »Look, that was once a church, now it’s a porn shop«) hatte er mit ausdrucksloser Miene ertragen, mein Gast hatte anscheinend das Emotionsspektrum einer Zahnbürste.
Mein Dasein gestaltete sich auch ohne Taylor derzeit nicht sonderlich erfolgreich, ich hatte eine Allergie gegen alles entwickelt, was mit meiner Schule zusammenhing. Wo andere von Gräserpollen Ausschlag und Reizhusten bekamen, sträubte sich mein ganzer Körper gegen mein Dasein als Lehrerkind. Ich hatte weniger Freunde als der Mond Einwohner, und die Omnipräsenz meines Vaters in der Schule machte es nicht eben leichter, welche zu finden. Kaum ein Tag, an dem mir kein Puddingbecher an den Kopf flog oder ich mein Deutschbuch nicht aus dem Klo fischen konnte. Ich war ein Außenseiter mit dem Alleinstellungsmerkmal Lehrerkind, nicht mal die klassischen Zufluchtsgruppen aller Jugendlichen, wie Punks, Gothics oder Nerds, wollten mich haben. Zeitweise kam ich mir vor wie der Letzte einer Art, ein Dodo mit Akne und Brustbeutel.
Als Taylor meine Eltern sah, hellte sich seine Miene plötzlich auf. Er rang sich sogar ein Lächeln ab, dann verbeugte er sich steif, als würde es sich bei meinem Vater nicht um einen Deutschlehrer, sondern um den Honorarkonsul von Sambia handeln.
»It’s a pleasure to meet you, sir«, sagte der Modellsoldat förmlich und ging dabei fast in die Knie. Dass mein Vater ihm nicht gleich noch den Handrücken zum Kuss hinhielt, erleichterte mich.
»I hope you had a pleasant journey«, warf mein Vater ein
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