Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Phrasenschwein zurück. Taylor bejahte förmlich und smalltalkte freundlich, während ich danebenstand wie ein zurückgebliebener Hausmeister und mit meinen Sandalen Muster in den Kiesboden malte.
»Maybe you want to shower?«, fragte meine Mutter und kündigte danach an, dass es selbst gebackenen Erdbeerkuchen geben würde. Selbst bei meinem letzten Geburtstag hatte sie einen Kuchen vom Vortag gekauft und auf ihre Mehlallergie verwiesen. Langsam kam mir der Verdacht, dass dieser Schüleraustausch auch endgültig sein könnte und ich ab nächsten Monat in England leben sollte.
»Sure, Miss, that would be fantastic!«, antwortete Taylor enthusiastisch und warf mir dabei einen mahnenden Blick zu. Es bestand eine nicht geringe Chance, dass mein Haus nun die Zelle eines Schläfers war, dachte ich, während ich Taylor nachsah.
Center of Evil
Taylors Einweisung in mein Jugendzimmer war schnell erledigt, er hatte meine komplette Einrichtung innerhalb weniger Sekunden als »gay« identifiziert, und auch unser kurzer Dialog über seine Schlafstätte hatte nicht im übermäßigen Dissens geendet. Dann schlief ich halt auf der Matratze neben meinem Bett, war bei den sommerlichen Temperaturen im Zweifelsfall eh kühler.
Nicht nur in meinem Kinderzimmer, auch in der sozialen Hackordnung der Schule nahmen ich und Taylor gegensätzliche Positionen ein. Er war so etwas wie der unerreichbare Gipfel der Nahrungskette, der Löwe, der weiße Hai, ein Spitzenjäger, der keine Gefahren fürchten musste. Ich hingegen war eher so etwas wie ein Hühnerküken mit Hüftschaden, im Zweifelsfall verspeiste mich jedes andere Tier, die meisten sogar mit Begeisterung.
Mich Schülern wie Taylor zu erwehren, nahm ohnehin schon einen Großteil meines Tages ein, dass man mir so jemanden nun auch noch in mein Bett gelegt hatte, war natürlich ein ziemlicher Treppenwitz der Geschichte. Taylor und ich arrangierten uns, was bedeutete, dass ich vermied, ihn anzusprechen, und er mich einmal weniger am Tag verprügelte. Das war schon mal ein Kompromiss.
Über Hastings erfuhr ich nicht viel, außer dass es »fucking boring« war und wohl am Meer lag, was ja im Gegensatz zu Gelsenkirchen an der Emscher schon als klarer Standortvorteil erschien. Taylor und ich lebten schon nach zwei Tagen wie ein altes Ehepaar, das sich nach 40 Jahren entzweit und effektiv nichts mehr zu erzählen hatte. Gegenüber meinen Eltern verhielt sich Taylor weiterhin ausnehmend höflich, beim Abendessen würgte er mit Begeisterung die kreativen Kochideen meiner Mutter (»Ravioli und Rührei«) herunter, und auch die Unterhaltungen über seine Heimat waren von jedem Schimpfwort und »Fuck« befreit, selbst die Quizfragen meines Vaters über die englische Monarchie beantwortete Taylor mit einer Engelsruhe.
An unserem ersten gemeinsamen Schultag hatte sich Taylor ebenfalls sehr schnell zurechtgefunden und seinen Platz bei meiner Mobbingbrigade eingenommen. Er war direkt in der ersten Pause zu Gökhan Mutlu und Rene Maurer gegangen und hatte sich wortlos nickend eingereiht. Ablehnung verbindet. Gökhan Mutlu war ein kurzer, stämmiger Junge mit fast schon abstruser Körperbehaarung und der bösartigen Fiepsstimme eines Kastraten. Rene Maurer hatte eine ähnliche Physis wie Taylor, ein zur Höchstleistung gepeitschter Pennälerkörper, bei dem jede Muskelfaser im Tausch gegen eine Gehirnzelle entstanden war.
Während Taylor die Schulterroristen verstärkte, hielt ich Ausschau nach Ashley, die den deutsch-englischen Freundschaftsbeziehungen auch nicht wirklich zugearbeitet hatte. Der Kontakt zu ihrer Gastgeberin Martina Drökelmann schien, gelinde gesagt, eher oberflächlich, die beiden standen auf den genau entgegengesetzten Seiten des Schulhofs und würdigten sich keines Blickes. Martina war die Tochter eines Küsters und ein so bemerkenswert spaßbefreites Wesen, dass selbst ein Skatabend im Altersheim lustiger war als ein Nachmittag mit ihr. Für Martina war bereits bei ihrer Geburt ein Platz als Sachbearbeiterin in einer Behörde reserviert worden, wofür sie schon jetzt im grauen Twinset übte und als Mitglied der Schulbibliotheks-AG für das Mahnwesen zuständig war. Ich hätte gerne das Gesicht von Martinas Musterchristeneltern gesehen, als die tiefschwarze Austauschschülerin aus England das erste Mal am Esstisch Platz nahm und sich den Schleier aus dem Gesicht strich. Wahrscheinlich hatte ihr Vater telefonisch einen Exorzisten beim Vatikan geordert und ihre Mutter mit einem
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