Lebenslänglich
nach links für einen ersten Blick in die Diele, leer, einen zweiten Blick, diesmal in die Küche, leer, einen dritten hinüber zum Schlafzimmer.
Leer.
«Ich gehe rein», sagte sie und presste den Rücken an den Türrahmen, und dann zu Andersson gewandt: «Du gibst mir Deckung. – Polizei», rief sie wieder.
Keine Reaktion.
Auf sprungbereiten Füßen glitt sie um den Türrahmen, beförderte mit einem Tritt die Zeitung beiseite und trat leise in die Diele. Die Deckenlampe schaukelte ein wenig, vermutlich vom Durchzug ins Treppenhaus. Julias Handtasche lag tatsächlich achtlos hingeworfen auf dem Fußboden links von der Eingangstür, daneben Alexanders Jacke.
Davids und Julias Jacken hingen rechts an der Garderobe.
Sie starrte geradeaus zur Küche, hörte Andersson hinter sich atmen.
«Sieh im Kinderzimmer nach», sagte sie und deutete mit der Waffe auf die erste offene Tür zur Linken, ohne die Küchentür aus den Augen zu lassen.
Der Kollege glitt an ihr vorbei, Nina hörte seine Hose rascheln.
«Kinderzimmer okay», sagte er nach einigen Sekunden.
«Kontrollier die Schränke», sagte Nina. «Schließ die Tür hinter dir, wenn du fertig bist.»
Sie machte ein paar Schritte vorwärts und warf einen raschen Blick in die Küche. Der Tisch war abgedeckt, aber die Spüle stand voller schmutziger Teller mit Resten von Spaghetti und Hackfleischsoße.
Julia, Julia, du musst sauber machen. Ich habe es so satt, andauernd hinter dir herzuräumen.
Entschuldige, ich habe nicht daran gedacht.
Der Luftzug kam aus dem Schlafzimmer, ein Fenster musste dort einen Spalt offen stehen. Die Vorhänge waren zugezogen und sorgten für kompakte Dunkelheit im Raum. Sie starrte einige Augenblicke ins Finstere, konnte aber keine Bewegung wahrnehmen. Doch etwas hier roch scharf und fremd.
Sie streckte eine Hand aus und schaltete das Deckenlicht an.
David lag auf dem Rücken ausgestreckt auf dem Bett, nackt. Blut war von einem Loch in seiner Stirn auf das Kopfkissen gelaufen. Sein Unterleib war dort, wo das Geschlechtsteil gesessen hatte, eine blutige Masse aus Sehnen und Haut.
«Polizei!», rief sie und zwang sich, so zu agieren, als sei er noch am Leben. «Keine Bewegung!»
Dröhnende Stille war die Antwort, und sie begriff, dass sie starrte. Sie sah sich wachsam im Zimmer um, die Vorhänge bewegten sich leicht, auf dem Nachttisch neben Julias Bettseite stand ein halbvolles Wasserglas. Die Decke lag zusammengeknüllt auf dem Boden am Fußende. Darauf eine Waffe, die gleiche wie ihre eigene, eine Sig Sauer P225.
Nina griff mit mechanischen Bewegungen nach dem Funkgerät.
«1617 an 70. Wir haben einen männlichen Verletzten am Einsatzort aufgefunden, es ist unklar, ob er noch lebt. Augenscheinlich Schussverletzungen in Kopf und Unterleib.
Kommen.»
Während sie auf Antwort wartete, trat sie ans Bett, blickte auf den Körper hinunter und wusste sofort, dass David tot war. Das rechte Auge war geschlossen, so als schliefe er.
Wo sich das linke Auge befunden hatte, klaffte das Eintrittsloch in den Schädel. Der Blutkreislauf war zum Stillstand gekommen, das Herz hatte aufgehört zu schlagen. Der Darm hatte sich entleert und einen braunen Brei von scharfriechendem Kot auf der Matratze abgesetzt.
«Wo bleibt der Rettungswagen?», fragte sie. «Haben die nicht denselben Funkspruch gekriegt wie wir? Kommen.»
«Ich schicke euch den Rettungswagen und die Spurensicherung», tönte 70 in ihr Ohr.
«Sind noch mehr Personen in der Wohnung? Kommen.»
Andersson erschien in der Tür, warf einen Blick auf die Leiche.
«Du wirst hier draußen gebraucht», sagte er und deutete auf die Badezimmertür.
Nina steckte ihre Waffe ins Schulterhalfter und ging rasch in die Diele, öffnete die Tür zum Bad und hielt den Atem an.
Julia lag auf dem Fußboden vor der Badewanne. Ihre Haare umrahmten den Kopf wie ein blonder Fächer, verklebt von erbrochener Spaghetti-Fleischsoßen-Mischung.
Sie trug einen Slip und ein übergroßes T-Shirt und hatte die Knie bis unters Kinn hochgezogen, wie in Embryostellung. Eine Hand lag unter ihrem Körper, die andere ballte sich im Krampf.
«Julia», sagte Nina leise und beugte sich über die Frau. Sie strich ihr die Haare aus dem Gesicht und sah in weit aufgerissene Augen. Das Gesicht war übersät von kleinen, hellroten Blutspritzern. Ein Speichelfaden zog sich vom Mundwinkel bis hinunter auf den Fußboden.
O mein Gott, sie ist tot, sie ist gestorben, und ich habe es nicht verhindert. Verzeih mir!
Ein
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