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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Nicholson ähnlich.«
    »Ich dachte immer, dein Vater habe Ähnlichkeit mit Jack Nicholson«, sagte ihre Mutter.
    »Du bist ja verrückt, Lila«, brummte Dave Harrington. Danach schwiegen sie alle, bis der Wagen vor dem Restaurant hielt.
    Das Capriccio war überfüllt, und trotz der Vorbestellung mußten sie eine halbe Stunde auf ihren Tisch warten. Als sie Platz genommen hatten, sah Gail sich verstohlen in dem farbenprächtigen Raum um und beobachtete die anderen Gäste. Die meisten waren vornehm gekleidet und tadellos frisiert. Gail schätzte das Durchschnittsalter auf fünfundsechzig.
    Das Essen ließ auf sich warten, und Gail hielt sich am Wein schadlos. Als endlich serviert wurde, hatte sie keinen rechten Appetit mehr. Sie aß wenig, trank aber zügig weiter. Ihre Mutter
fragte laut, ob es nicht besser sei, sie höre auf. Aber ihr Vater sagte, seine Tochter dürfe gelegentlich ruhig einen kleinen Schwips haben, und schenkte ihr nach. Gail zuckte die Schultern und nahm einen Schluck. Sie fühlte sich ein wenig benommen, und der Raum begann sich um sie zu drehen.
    »Du hast genug getrunken«, sagte Jack ruhig.
    »Gibt’s hier auch nur einen Gast unter Achtzig?« Gail kicherte laut.
    »Keinen außer uns vieren«, antwortete ihr Vater ebenso laut.
    Gail dachte an die Sauerstoffflasche im Aufzug des Eden Rock. »Sie klammern sich weiß Gott dran«, bemerkte sie, während sie an Jacks Arm schwankend zum Parkplatz stolperte.
    »Woran?« fragte Jack, als er ihr auf den Rücksitz half.
    »Das Leben«, murmelte sie und lehnte den Kopf an seine Schulter.
    Ehe sie die Augen schloß, fiel ihr Blick auf einen Aufkleber am hinteren Kotflügel des Autos neben ihnen: »Mit Gott, Kanonen und Schneid«, stand da zu lesen, »siegt Amerika jederzeit.«

33
    Der Wetterbericht hatte nicht zuviel versprochen. Der Himmel leuchtete so blau wie im Reiseprospekt. Die Temperatur sank selbst nachts selten unter fünfundzwanzig Grad, und das Wasser war einladend warm. So weit das Auge reichte, sah man überall Surfer.
    Gail lag in ihrem Liegestuhl am Swimming-pool (ein seltsam geformtes Gebilde, das als Quadrat begann, dann nach rechts ausschweifte und in ein großzügiges Orthogon mündete). Sie beobachtete die Sonnenanbeter ringsum. Ihr Vater lag neben ihr, die Augen geschlossen, den unvermeidlichen Walkman im Ohr. Er rührte sich fast den ganzen Tag nicht. Kurz nach acht Uhr
morgens legte er sich zurecht und blieb in dieser Stellung bis Punkt zwölf. Dann richtete er sich so plötzlich auf, als folge er einem automatischen Weckruf, und ging zum Mittagessen ins Haus. Um eins war er wieder auf Posten am Swimming-pool und lag unbeweglich da, bis die Sonne aus seiner Ecke verschwand. Dann rollte er sein Handtuch zusammen und ging hinauf in die Wohnung. Er sprach nur selten, und wenn er den Mund aufmachte, dann tat er es entweder, um jemandem zu widersprechen, oder um das Enkelkind anderer Leute zur Ruhe zu mahnen. Gail fragte sich, was er wohl mache, wenn es regnete. Ihre Mutter, die nur selten an den Pool kam (sie fürchte, die Sonnenstrahlen seien krebserzeugend, gestand sie und erntete damit den Spott ihres Mannes), erzählte ihr, Dave Harrington verließe an Regentagen nur noch selten das Bett. Früher hatten sie bei schlechtem Wetter einen Einkaufsbummel gemacht, waren zur Nachmittagsvorstellung in ein Kino gegangen oder hatten Freunde besucht. Aber in letzter Zeit taten sie das alles nicht mehr, sagte sie, ohne weitere Erklärungen anzubieten. Und Gail fragte nicht danach.
    Gail hielt nach Jack Ausschau, der gerade die letzte der fünfzig Bahnen beendete, die er seit ihrer Ankunft täglich schwamm. Triumphierend hob er den Kopf aus dem Wasser und schüttelte sein Haar, so wie sich ein Hund nach dem Bad schüttelt. Er fing ihren Blick auf und winkte ihr zu. Sie winkte zurück, als er aus dem Becken stieg und auf sie zukam.
    »Müde?« fragte sie und reichte ihm ein Handtuch.
    Er fuhr sich damit übers Haar. »Nein. Es wird mit jedem Tag leichter. Vielleicht versuch’ ich morgen fünfundfünfzig Längen.«
    »Überanstreng dich nur nicht.«
    »Keine Angst.« Er lächelte, offensichtlich erfreut darüber, daß sie sich um ihn sorgte. »Hast du Lust auf’n Spaziergang?«
    Gail schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht.«
    Er wirkte enttäuscht. »Macht’s dir was aus, wenn ich gehe?«

    »Aber nein, warum sollte es mir was ausmachen?«
    »Ach, ich dachte bloß.« Er ließ das Handtuch auf den Liegestuhl neben ihr fallen. »Ich bin in einer

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