Lebenslang Ist Nicht Genug
hat seit Monaten nicht mehr geregnet. Möchtet ihr euch mal anschauen, was ich aus eurem Zimmer gemacht habe?« fragte Lila.
»Es ist das reinste Chaos«, sagte Gails Vater. »Sie hat alles durcheinandergebracht.«
»Wo ist das Bild?« fragte Gail, als sie ihrer Mutter folgte.
Sie wandten sich um und blickten auf die Stelle, wo das vergrößerte Foto gehangen hatte, auf dem Gail und Cindy gegen den Wind ankämpften.
»Ich hab’s weggetan«, sagte ihre Mutter leise. »Ich konnte es nicht mehr ertragen, jeden Tag das Bild anzuschauen und...«
»Damit fing’s an«, warf ihr Vater ein. »Als sie das Bild abgehängt hatte, da fing’s an sie zu jucken, und sie stellte die ganze Wohnung auf den Kopf. Und als sie endlich alles umgekrempelt hatte, kam sie auf die Idee, wir sollten hier ausziehen.«
»Es ist einfach an der Zeit für einen Tapetenwechsel.« Lila führte Gail und Jack ins Gästezimmer.
»Du meinst also, es ist Zeit?« rief Dave hinter seiner Frau her. »Ja, Zeit, daß du dich auf deinen Geisteszustand untersuchen läßt.«
»O Dave, jetzt sei endlich still!«
Was war nur mit ihren Eltern los? überlegte Gail, während sie vorgab, die Möbel im Gästezimmer zu bewundern. Früher hatten sie fast nie gestritten. Sie erinnerte sich nicht, daß ihr Vater je die Stimme erhoben hatte, außer zum Singen. Jetzt schien schon ein Blick oder ein belangloses Wort zwischen ihnen zum Zankapfel zu werden. Aber warum?
»Was ist los mit Dad?« fragte Gail ihre Mutter, sobald ihr Vater aus dem Zimmer gegangen war.
»Er hat sich verändert«, sagte sie widerwillig, so als wolle sie es nicht wahrhaben.
»Wie meinst du das?«
Gails Mutter zuckte die Achseln. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Er hat das Malen aufgegeben. Er singt auch nicht mehr, nicht mal unter der Dusche. Er sagt, es gibt nichts mehr, worüber man singen könne. Er ist dauernd gereizt. Ich kann ihm nichts recht machen. An allem, was ich sage, hat er was auszusetzen. Er hat sich eben - verändert.« Sie blickte von Gail zu Jack und dann wieder auf ihre Tochter. »Jetzt packt erst mal aus und erholt euch ein bißchen«, sagte sie liebenswürdig. Sie hatte ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden. »Nachher können wir schwimmen gehen oder am Strand einen Spaziergang machen, wenn ihr Lust habt.« Sie wandte sich zum Gehen, zögerte aber noch einen Moment an der Tür. »Du bist mir nicht böse, oder? Ich meine, wegen des Bildes.« Sie schaute zu Boden. »Weißt du, ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, es noch länger anzuschauen.«
»Schon gut.« Gail setzte sich auf die Bettkante. »Ich kann dich verstehen.« Ihre Mutter lächelte traurig, mit zitternden Lippen. Sie nickte vor sich hin und ging hinaus.
»Mir kommt das Zimmer gar nicht verändert vor«, sagte Jack, sobald sie allein waren.
»Das Bett stand früher auf der anderen Seite. Und die Vorhänge sind neu.«
Er hörte gar nicht richtig zu. »Kommst du mit zum Schwimmen?« fragte er abwesend.
Gail schüttelte den Kopf. Sie legte sich aufs Bett. »Nein, ich versuche ein bißchen zu schlafen.«
»Du vergeudest einen herrlichen Nachmittag.«
Sie hörte noch, wie er seinen Koffer aufmachte und sich umzog, dann nickte sie ein. Seine Stimme holte sie an die Schwelle des Bewußtseins zurück. »Willst du wirklich nicht mitkommen?«
Bevor er sie noch einmal fragen konnte, war sie fest eingeschlafen.
Sie brauchten fünfunddreißig Minuten bis zu dem Restaurant. Es war eigentlich nicht sonderlich weit, aber die Leute in Palm Beach schienen ungern schneller als dreißig Stundenkilometer zu fahren. (»Warum wundert dich das?« hatte ihre Schwester Carol einmal scherzhaft gefragt. »Die Leute hier sind halb blind, und die Hupe hören sie auch nicht mehr. Außerdem haben sie’s nicht eilig.«)
»Wie geht’s Carol?« fragte sie aus ihren Gedanken heraus.
»Sie klang letztens am Telefon ein bißchen deprimiert.«
»Und warum?« Gail hoffte, ihre Schwester habe sich nicht mit ihrem neuen Freund überworfen.
»Sie haben ihr wieder mal eine Rolle nicht gegeben, um die sie sich beworben hatte. Und ich glaube, sie hat ein bißchen Manschetten vor unserem Besuch.«
»Was? Aber Mutter, bildest du dir das nicht bloß ein?«
»Nein, nein. Ich hab’ den Eindruck, sie hat Angst, daß wir mit diesem Stephen nicht zurechtkommen könnten, mit dem sie zusammenlebt. Ihr habt ihn doch kennengelernt, nicht, Gail?«
Gail bejahte.
»Wie ist er denn?«
»Ich fand ihn sehr nett. Er sieht Jack
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