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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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kann durch das Comptoir eilen, die Kerzen zu löschen!«
    Noch ärgerlicher jedoch schien Herrn Buttewegg das plötzliche Versagen der Beleuchtung in einem anderen Falle gewesen zu sein, von dem er allerdings nur unter Stammtischbrüdern sprach und auch dort nicht ohne verschämte Absicherungen: »Sie wissen ja, meine Herren, in einem Hauswesen wie dem meinen verschwindet immer mal was, und so ist man auf der Hut. Komme ich neulich an der Mädchenkammer vorbei und höre ganz accidentaliter ein Geräusch hinter der Tür; ich denke, willst doch mal sehen, bücke mich also zum Schlüsselloch, nun ja, die Sophie zog sich gerade um … und nun lassen Sie sich von einem Connaisseur sagen, so eine Rückenpartie … aber mehr eben nicht, denn dann passierte es wieder; ich sage Ihnen, es ist einfach bitter!«
    Was Wunder also, daß Herr Buttewegg sehr bald einen Elektriker zu Rate gezogen oder, wie ihn seine mit der Zeit ranzig gewordene Bildung sagen ließ, »einen hiesigen Spezialisten konsultiert« hatte. Und eben aus den Kreisen der hiesigen Spezialisten bezog ich mein Wissen um den Fluch des Hauses Buttewegg – zählte ich doch, wenn auch mit Einschränkungen, mit weitaus größerem Recht zu ihnen als zu den wohlhabenden Ständen, deren Privileg es war, jene Geschichten des Herrn Buttewegg zu kennen und weiterzuerzählen, die alle mit dem melancholischenAusruf endeten: »Und dann passierte es wieder!«
    Mit Einschränkungen, sage ich, gehörte ich zu den ortsansässigen Fachleuten für Kurzschlüsse, und das ist leicht erklärt: Zum einen war ich noch Lehrling, und zum anderen war mein Meister der allerkleinste und nicht recht zählende Krauter im Ort.
    Aber lassen wir Zahlen sprechen: Wenn mein Meister die Rubrik »Angestellte« in seiner Steuererklärung ausfüllen mußte, so schrieb er eine schlichte 1 hinein. Diese 1 war ich.
    Das hinderte ihn freilich nicht, einem Bauern, dessen Dreschmaschine versagte, ebenso trostreich zu versichern, er werde seinen Spezialisten für Dreschmaschinen schicken, wie er einem anderen, dessen Pumpenmotor streikte, verkündete, der Spezialist für Pumpenmotoren sei schon so gut wie auf dem Wege.
    Als Theodor Buttewegg seines Kurzschlusses wegen endlich auch meinen Meister anrief, wurde ich zum Spezialisten für Kurzschlüsse ernannt.
    Kein Auftrag wäre mir unangenehmer gewesen als dieser, denn Butteweggs Leitungsschaden war für die städtische Elektrogilde gleichsam das, was im Märchen die unbezwingbaren Glasberge oder die jungfrauenverzehrenden Feuerdrachen für reisende Königssöhne und wandernde Müllerburschen sind.
    Zwar war Buttewegg noch nicht so weit gegangen, dem etwaigen Bezwinger des Drahtteufels die Hand seiner Tochter anzutragen – das wäre auch eher eine Drohung gewesen –, aber an Versprechungen hatte er es nicht fehlen lassen.
    Man erzählte sich, daß er die Meister und Monteure,die sich anheischig gemacht hatten, den Bann zu brechen, zuerst immer in seine Schatzkammer geführt und einen Blick auf seine Reichtümer hatte werfen lassen. »Hier von , meine Lieben«, pflegte er dann zu sagen, »können Sie, gesetzt, Sie beheben den casus criticus, wählen, was immer Sie goutieren!«
    Ach, die Meister und Monteure goutierten alles, was in dieser Schatzkammer in langen blinkenden Reihen paradierte – war es auch nicht eitel Gold, das da glänzte, so waren es doch an die hundert Flaschen so ziemlich aller edlen Getränke, die sich auf der Basis von Spiritus herstellen lassen. Denn Herr Buttewegg war der erste Schnapsbrenner im Lande, und draußen war Krieg – der Sprit war zu gleichen Teilen Lazaretten und Offizierskasinos vorbehalten.
    Aber wie es im Märchen zu gehen pflegt: Am Fuße des Glasbergs oder vor der Höhle des Drachen lagen die gescheiterten Prinzen und Wanderburschen zuhauf, König Theodor behielt seinen Schnaps und seinen Kurzschluß dazu.
    Zwar büßten Meister und Gesellen nicht gerade Leib und Leben ein, auf jeden Fall aber ein gutes Stück Reputation, denn Herr Buttewegg versäumte keineswegs, jedermann seines Standes mitzuteilen, daß nach dem Meister Hederich und dem Meister Blinker nun auch der Meister Schikowski mit all seinen Technici angerückt sei und genau wie die anderen totaliter versagt habe. »Kaum waren sie aus dem Haus«, sagte er, »passierte es wieder!«
    Schließlich hatte er in seiner Verzweiflung meinen Meister, den Paria der Elektroinnung, angerufen, und da war ich nun, die wandlungsfähige 1, auf meinem Wege, mit einem Auftrag

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