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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Mieter hoffen?
    Derartige Alternativen lagen bei der finalen Begegnung nicht vor. Die Aufgaben der Ordner hatten ebenso wie ihre Obhutsabschnitte durch Instruktion an Kontur gewonnen. Was hinter ihnen auf dem Spielfeld geschah, durfte sie, hörten sie, auch wenn es nicht leichtfiel, nicht die Bohne kümmern. Wer auf der Galerie jählings aufsprang, obwohl es weder zur völkerverbindenden La Ola noch zum Protest gen Himmel einen Anlass gab, wer also verdächtig in Bewegung geriet oder sich unvermutet im Treppenaufgang zeigte, der setzte die Ordner spätestensdann in Gang, wenn er die Gitter zwischen Rang und Rasen überwunden hatte. Unmittelbar hinter dem Spartacus-Flechtwerk musste ein etwaiger Kletterer, ob er nun streicheln oder morden, küssen oder sterben wollte, an Jan G. und Kollegen geraten, die als finalste aller finalen Abwehrreihen zwischen Rang und Rasen hellwach auf Posten standen.
    Wer anscheinend grundlos im letzten Bannkreis erschien, schien nicht nur Ungutes im Schilde zu führen, sondern führte Ungutes im Schilde. Keiner überwand Kettenzäune und stählerne Traljen, die an Alcatraz, Moabit und Guantánamo gemahnten, um am Rasenrand nach dem nächsten Telefon zu fragen. Wer so weit vorgedrungen war, trug sich mit Absichten. Ob harmlosen oder üblen, das würde der Zugriff zeigen. Der hatte Vorrang vor allem, doch sollte er auf das Publikum nach Möglichkeit wie ein gelinder Eingriff wirken. Eben nicht anders, als führe man einen vom Weg geratenen Kommunikationsbedürftigen behutsam zur nächsten Zelle.
    Eher als mit menschlichen Irrläufern sei mit verschlagenen oder verfehlten Bällen im Seitenaus zu rechnen, hatte der Instrukteur gesagt. Natürlich gehe so ein verlaufener Gegenstand keinen Ordner etwas an. In dessen Zentrum stehe der fehlgeleitete Mensch. Auch wüssten die Kenner der Sportart, zu deren Höhepunkt sie als Wächter beigezogen worden waren, dass Bälle, die außerhalb des Feldes oder in den Fängen eines Fans auf der Galerie landeten, flugs von flinken Ballgehilfen durch andere ersetzt würden. Mithin solle ein Schutzbeauftragter das verirrte Leder einfach ignorieren. Durchaus verständlich der Wunsch, es aufzunehmen und dem Einwerfer zuzuwerfen. Dem infolge der Spielabgewandtheit und Tribünenzugewandtheitaller Ordner lediglich vermuteten Einwerfer, wohlgemerkt. Verständlich sei die Regung schon, jedoch geeignet, Verwirrung zu stiften und vom Eigentlichen, das hoffentlich hinlänglich beschrieben wurde, abzulenken.
    Hinlänglich, weiß Gott, um nicht länglich zu sagen, hatte Jan G. gedacht, doch kein Zeichen von seinem Bedenken gegeben. Aus leiser Aufmüpfigkeit wurde zu oft auf Neigung zum Aufruhr geschlossen. Ungern sähe er sich mit entsprechenden Vermerken in die Reservearmee zurückbeordert. Aus einer Dienststellung gar, die zwar eigentümlich, aber keineswegs ohne Reize war. Eisernen Willens unablässig an der Aufsicht nach vorn festzuhalten, während hinten ein großer Zauber lief, durfte als Test aller Tests wohl gelten. Und, falls bestanden, als Anlass zu einem Fest aller Feste.
    Der Herr feiert, ehe auch nur ein einziges Tor gefallen ist, teilte er sich ungehalten mit. Der Herr weiß im Augenblick nicht einmal, auf welches Tor welche der Mannschaften spielt, doch hat er das Siegesbüfett bereits im Auge. Der Herr ahnt kaum, wie die Partie enden wird; das hindert ihn nicht, eine Party zu planen. Ja und? Da war kein Widerspruch. Mochten die einen, mochten die anderen siegen, the winner was Jan G. Er hatte die Schlange der Bettler gegen die Kette der Ordner getauscht. Er war in die Garde unter der Hellebarde berufen worden. Er, über den man einst hinter Briefschlitzen lachte, sah sich gegen Flitzer und Schlitzer als Schützer gestellt. Was die eigentliche Aufstellung des Tages heißen durfte. Wie sollte er, von dem man fest zu wissen schien, er werde mit einer seltsamen Halbheit fertig, nicht ausgelassen feiern, wenn alles fertig war?
    Seltsame Halbheit
klang seltsam verkürzt. Oder verlängert. Wenn von einem Spiel das Spiel als Hauptsache galt, konnte man, wo es fehlte, nicht gut von Halbheit sprechen. Da fehlte weit mehr. Wie viel von einer Sache nahm eine Hauptsache ein? Wenn auch nicht alles, mehr als die Hälfte bestimmt. In Quantität wie Qualität. Selbst wo das Spiel als die halbe Feier zählte und sein Drumherum als die andere Hälfte, wogen beide Teile einander nicht auf. Ein Spiel kam ohne Publikum aus, kein Publikum ohne Spiel. Das stimmte unter Flutlicht wie

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