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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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ungern sähen wir Neffen von Ihnen oder sizilianische Vettern, die vom Stehplatz aus mit Hilfe ertüftelten Lichtgeräts die Verläufe zu Ihnen hinunterblinkten.
    Spätestens ab dem Anstoßpfiff gehört Ihr sensorischer Apparat uns. Wir verlangen nicht seinen Missbrauch, sondern seinen teilweisen Nichtgebrauch. Niemand will eine Mauer aufrichten, aber verhalten sollen Sie sich, als seien Sie durch eine solche unaufhebbar abgetrennt vom rückwärtigen Lauf der Dinge. Ließe es sich kontrollieren, dürften Sie nicht einmal aus dem, was Sie aus den Mienen auf der Tribüne lesen, auf den Verlauf des Spiels schließen, das man auf der Tribüne sieht. Ähnliches forderten wir, wenn es durchsetzbar wäre, vom Umgang Ihrer Ohren mit allem, was Ihnen an Triumphgeschrei oder Schmähgesang von den Rängen entgegenschallt. Doch ist das Zukunftsmusik und intelligenten Maschinen vorbehalten, die uns dereinst ergänzen werden. Zunächst ergänzen und einmal ersetzen. Bis dahin müssen wir uns Ihrer und Ihrer Vigilanz bedienen.
    Mit einem weiteren Nachgedanken war der Instruktor aus der Zukunft in die Vergangenheit gesprungen und hatte die Damen und Herren ersucht, auf ihrem Platz zwischen Kampffeld und Niemandsland an Sodom und Gomorrha zu denken. Insbesondere an Lots Weib. Oder, um die riskante Analogie überhaupt zu ermöglichen, neben der Frau Lot auch an deren Mann. Die überlieferte weibliche Person habe sich, wie jeder wisse, wollte sie nicht zur Salzsäule erstarren, nicht umdrehen dürfen. Ähnliches gälte für Lots Gemahlin, stünde sie heute im Arenadienst. Nicht anders lägen die Dinge für ihren Gatten. Wäre HerrLot jetzt mit seiner Frau als Ordner beim Finale dabei, wäre es auch für ihn eine Sache des eisernen Willens.
    Wie man überhaupt alles vor allem sinnbildlich nehmen solle. Kein Mensch müsse bei etwaigem Versagen seine Umwandlung ins Salzsäulenmäßige befürchten. Wer den Vertrag nicht erfülle, hebe ihn lediglich auf. Was zu keiner Intervention des Vereins führen würde. Außer zur Nichtzahlung, die für allfallsige Nichterfüller unter Umständen den Nichtkauf einiger Fässchen Salz bedeuten könne. Sinnbildlich gesprochen. Nebenher gesprochen:
Salär
leite sich wie
salary
von der Salzration römischer Soldaten aus der gloriosen Gladiatorenzeit her. Um bei heutigen Worten zu bleiben: Wer sich entgegen der Abrede umdrehe, werde aus der Liste der eisern Willigen gestrichen. Damit wäre der Vorrat an rechtlichen Mitteln erschöpft, mit denen der Verein sich ausgestattet habe.
    Nach der letzten Unterweisung wurde empfohlen, kurz vor dem Auftakt noch einmal die Einrichtungen im Offizialtrakt zu benutzen, damit Frau Lot und Herr Lot in der Lage seien, jedes Gran ihres Willens auf die Wacht übers Endspiel zu wenden. Der Instrukteur winkte den Instruierten zugetan und angetan zu, ehe er in die Höhen der Monitorbatterien auffuhr, um der Aufzeichnung der Mutter, ach was, Königinmutter aller Spiele zu folgen und den Ordnerinnen und Ordnern mit einer Aufmerksamkeit, die der ihren hoffentlich in nichts nachstehe, auf ihr eisernes Beharren, ihr umsichtiges Betragen, ja ihre ganze Verfassung zu sehen.
    Jan G. stellte sich den Kontrollraum wie einen Tower vor, in dem nervenstarkes Personal den Flugverkehr unverwandt im Auge hatte. Abflug, Anflug, Anstoß, Abseits, Einwurf, Sinkflug, Eckstoß, Steigflug, Abschlag,Warteschleife, Flügelwechsel, nicht dasselbe, nicht das Gleiche, aber verwandt. Verwandt wie
Salz
und
Salär
. Beim Flugbetrieb und Spielbetrieb entsprach die Ordnerkette um den einen Platz der Lichterkette um den anderen. So gesehen, gab Jan G. nach eigenem Urteil zwar keine Leuchte ab, wohl jedoch einen unverzichtbaren Heimleuchter, auf den es ankam, wenn einer plötzlich ankam und böse Absichten hatte.
    Während er als hausierender Dienstleister sein eigener Manager gewesen war, ein Ich-Agent, der selbst entscheiden musste, was zu tun oder zu unterlassen sei, entfiel dieser Zwang in der Endspielarena. Hier konnte es nicht zu Grässlichkeiten wie dem Scherenschleifer-Augenblick kommen, in dem er entgeistert vor dem räuberischen Briefschlitz gestanden und nicht gewusst hatte, wie sich verhalten. Was gebot die unerhörte Lage? Stürmisches Klingeln? Sachtes An-die-Türe-Klopfen? An eine Wohnungspforte, hinter der man ihm, wie es schien, seit längerem aufgelauert hatte? Durfte er im leeren Treppenhaus empört nach der entwendeten Klarsichthülle rufen und danach noch auf einen bezahlten Auftrag anderer

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