Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
Nähten platzendes Gesundheitssystem.
Das alles ist nicht lustig, sondern echte Arbeit. Ein verzweifeltes Abstrampeln, koste es, was es wolle, auch so schön, fit und gesund zu werden wie »The Body« und andere Models, die freilich – schaut man näher hin – doch nicht solche Inkarnationen der Lebenslust sein können, sonst bräuchten manche nicht pfundweise Kokain, um nicht von der nächsten Brücke springen zu müssen. Am Horizont lockt die Genetik, die jetzt das Gen identifiziert haben will, das uns altern lässt. Wenn die dazu passende Pille erst auf dem Markt ist, beginnt sie richtig, Aldous Huxleys »Schöne neue Welt« der vor Gesundheit strotzenden Strunze.
Bringen wir den Trend auf den Nenner, dann besagt er: »Die Lebenslust besteht darin, gesund, fit und schön zu sein. Alles andere wird euch dreingegeben.« Wenn heute überhaupt etwas auf dem Altar steht, angebetet und mit allerhand schweißtreibenden Sühneopfern bedacht, so ist es die Gesundheit. Unsere Vorfahren bauten Kathedralen, wir bauen Kliniken. Unsere Vorfahren machten Kniebeugen, wir machen Rumpfbeugen. Unsere Vorfahren retteten ihre Seele, wir unsere Figur. Im Jahr 2000 nach Christi Geburt hat in Deutschland erstmals die Zahl der Fitnessstudiomitglieder (4,59 Millionen) die Zahl der Besucher des katholischen Sonntagsgottesdienstes (4,42 Millionen) übertroffen.
Keine Frage, wir haben eine neue Religion: die Gesundheitsreligion.
Es fehlt nicht an Protagonisten: selbst ernannten Päpsten, ergebenen Gläubigen, Hohenpriester des Wohlergehens, Zuchtmeistern, Asketen, Heiligen, Inquisitoren. Es fehlt nicht an Binnendifferenzierung. Die neue Kirche hat schon ihre Orden, Sekten und Häresien. Und es fehlt auch nicht an kultischen Akten: Man wallfahrtet, fastet, geißelt sich und unterzieht sich heilbringenden Salbungen. Sogar die neue Doppelmoral gibt es schon: das Sahnetörtchen nach dem Fitnessstudio.
Ich bekenne: In der Gesundheitsreligion bin ich Atheist. Ich halte die Gesundheitsreligion erstens für albern, zweitens für anstrengend, drittens für teuer, viertens für lebensgefährlich und überhaupt für eine abscheuliche Sekte. Sie erzeugt – indem sie ein falsches Paradies vorgaukelt – eine neue Form von religiöser Blindheit. Sie vermehrt die Dummheit in der Welt und macht die Menschen unglücklich. Und vor allem glaube ich, dass sie eine Großattacke auf die Lebenslust ist. Alle Bodypropheten und Gesundheitsapostel haben den Spaß im Mund, die Verheißung unendlichen Vergnügens, den endgültigen Fun. Die Berge kreißen und heraus kommen Waschbrettbäuche, braun gebrannte Zombies, muskelbepackte Nichtse und geliftete Tanten.
Ich protestiere: im Namen der Lust am vollen Leben.
Doch wäre es kaum lustig, im Protest stecken zu bleiben. Das Buch will mehr. Weitab von den Sackgassen und Verrenkungen der Gesundheitsreligion will es Wege zu den eigentlichen Kostbarkeiten des Lebens freilegen. Und es plädiert für eine alternative, wirklich ganzheitliche Spiritualität.
A. Lust am Leben – Macht und Geheimnis der Gesundheit
G estatten Sie eine Frage: Sind Sie gerade im Moment gesund? – Gewiss, die Augen scheinen es so einigermaßen zu tun, sonst könnten Sie die Frage nicht lesen. Auch das Gehirn scheint zumindest seine Grundfunktionen zur Verfügung zu stellen, sonst hätten Sie nicht die gute Entscheidung treffen können, dieses Buch zu kaufen. Sollten Sie es geschenkt bekommen haben, das Buch, steht Ihnen offensichtlich wenigstens ein Freundeskreis zu Gebote, der Voraussetzung für »soziales Wohlbefinden« ist. Das ist nach der alten Definition der Weltgesundheitsorganisation ein wesentlicher Aspekt von Gesundheit. Aber dennoch können Sie keineswegs sicher sein, ob Sie im Moment gesund sind.
Wie wichtig diese Frage für Sie persönlich ist, lieber Leser, was Sie von der Gesundheit haben und was ihre Gefahren sind, darum soll es nun gehen – und um das schwierige, aber alles entscheidende Verhältnis von Gesundheit zu Lebensglück und Lebenslust.
I. Auf der Suche nach dem Heil
Spontan kommt man vielleicht nicht auf die Beziehung von Lebenslust und Gesundheit. Menschen, die viel über Gesundheit reden, sind oft ziemlich krank. Und Menschen, die auf dem Besitz von Gesundheit beharren und vorsichtshalber rücksichtslos gegen den Verlust derselben ankämpfen, wirken in der Regel nicht sehr lustig. Zwar versichern sie zumeist ungefragt und außer Atem, ihre Bemühungen würden ihnen »wahnsinnig Spaß machen«, doch
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