Lebenssonden: Roman (German Edition)
Quadratkilometer, zwei Millionen einzelne Bauwerke, eine Bevölkerung zwischen 100 Millionen und einer halben Milliarde Schöpfer in der Blütezeit der Stadt. Die Zahlen an sich waren ihr so präsent wie allen anderen, aber sie waren nicht gegenständlich gewesen. Das änderte sich erst, als sie über die von einem Horizont zum anderen reichende Stadt-Landschaft hinwegflog.
Das Erste, was ihr auffiel, war, dass die Gebäude alle viel größer waren als erwartet. Anhand der Fotografien hatte sie ihnen im Geiste annähernd dieselbe Größe wie die Megastrukturen von New York City zugeschrieben. Jedoch waren, verglichen mit den Gebäuden der außerirdischen »Metropolis«, New Yorks Mammutbauwerke bloße Bauklötzchen-Häuser. Ein Schöpfer -Bauwerk allein erstreckte sich schon über eine Fläche größer als Manhattan und war so hoch, dass Terra den Kurs der Sirenengesang nachregeln musste, um nicht damit zu kollidieren.
Über eine Stunde lang flog der Scout über solche Kolosse hinweg und um sie herum, über die riesigen Freiflächen und Parklandschaften dazwischen und erhaschte Blicke eines Flusses, der – obwohl er noch größer war als der Neue Amazonas auf Alpha – von Schöpfer -Brücken und anderen Bauwerken fast überdacht wurde. Zweimal umkreisten sie Herden der vierbeinigen Tiere, die dort weideten, wo einmal Autos gefahren waren.
Und doch erkannten die acht Augenpaare, die konzentriert jeden Bildschirm überwachten, keinerlei Anzeichen dafür, dass die Schöpfer noch in ihrer Stadt lebten. Zumal die Spuren des Verfalls nun offensichtlicher waren, als es vom Orbit aus den Anschein gehabt hatte. Nicht eine der massiven Strukturen war noch völlig intakt. Hier und da waren Fenster zerbrochen, aber nicht ersetzt worden. Die Exkremente einer Vielzahl kleiner, vierfach geflügelter Wesen rannen wie große, gesprenkelte Wasserfälle an den Türmen herab. Ein Teppich von totem Laub lag auf der Windseite der meisten Gebäude; und überall versuchte die üppig wuchernde Flora der Landschaftsgärten der Schöpfer Fuß an den glatten Flanken der Wolkenkratzer zu fassen. Dann flog das Scoutboot über einem kleinen Wasserlauf dahin, dessen Quelle ein Bruch in den Wasserleitungen der Stadt zu sein schien.
»Das ist deprimierend«, sagte Jim Davidson irgendwann. »Wie lange wollen wir denn noch über diesem Friedhof herumkurven?«
»Nicht mehr lange«, sagte Terra und warf einen Blick auf die Gesamtverlaufsanzeige. »Ich will nur noch mal die zahlenden Passagiere fragen.« Terra schaltete wieder auf Autopilot, ließ den Joystick los und streckte den schmerzenden Arm aus, bevor sie den Interkom aktivierte.
»Gelehrter Price.«
»Ja, Terra?«
»Es sind inzwischen anderthalb Stunden vergangen. Sollen wir diese Etappe beenden?«
»Bestätigung. Ich habe mehr als genug von dieser Stadt gesehen. Danke.«
»Chryse?«
»Einverstanden! Hier krieg ich die Krise. In so einer Umgebung kann man auf Dauer depressiv werden.«
»Ingenieur Gomez?«
»Ich bin mitgekommen, um das Schiff zu sehen, Pilotin. Je eher, desto besser.«
»Aeneas?«
»Bereit, Terra.«
»PROM?«
»Ich wollte auch schon den Vorschlag machen, dass Sie weiterfliegen. Sie werden das restliche Tageslicht am nächsten Ziel brauchen.«
»Dann sind wir uns also einig.« Terra gab den Befehl ein, der die Sirenengesang im Hochgeschwindigkeitsflug zum Raumhafen bringen würde.
Bei knapp unter 1 Mach würde der Flug vierzig Minuten dauern. Auf halber Strecke zu ihrem Bestimmungsort trafen sie auf die Wolkendecke, die PROM ihnen schon angekündigt hatte. Wo der Boden nun durch eine weiße Schicht verborgen war, vermochte man sich leicht vorzustellen, dass man auf der Erde oder auf Alpha war. Das Unbehagen, das Terra während des Flugs über die Stadt empfunden hatte, legte sich zum größten Teil. Schließlich wurde es Zeit für den nächsten Landeanflug.
Terra übernahm das Boot vom Autopiloten und fiel langsam der Wolkenschicht entgegen, während sie die Instrumente aufmerksam beobachtete. Dann wurde der Bildschirm in Weiß getaucht. Sie stießen durch die Wolkendecke in einen kalten, grauen Tag hinein.
»Mein Gott, schau dir das an!«, rief Jim Davidson.
Terra musste nicht fragen, was er meinte. Der Raumhafen war zwar nicht annähernd so groß wie Metropolis, aber auf eine andere Art und Weise genauso eindrucksvoll. Wie die Stadt, so war auch der Ort mit weiten Räumen und riesigen Gebäuden. Sie überflogen eine Struktur, die ein riesiger Hangar zu sein
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