Leberkäsweckle
Wein trinken und in der verbleibenden Zeit noch einen Brief an die Kinder schreiben.
Es ist gut so, würde er schreiben, vermisst mich nicht. Ich kriege das alles nicht mehr auf die Reihe, und sie fehlt mir so sehr. Es war schön, das Leben, aber ohne sie und so allein kann ich es nicht. Das wollte er noch schreiben, nach den Tabletten. Als er das dachte, fiel die Kirchentür laut zu, und ein Schlüssel drehte sich knarrend im Schloss.
Franz Werth stand verwundert auf und ging zur Kirchentür. Zu. Aber so was von zu.
Als ob Gott ihn noch dabehalten wollte.
Gott, das war für Elfriede Schuckerle nun wirklich kein Thema. Gott bitte nicht auch noch, hätte sie geantwortet, wenn sie denn gefragt worden wäre. Sie hatte genug damit zu tun, ihre eigene Situation einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Das war nicht einfach als Elektroinstallateurs-Gattin und gleichzeitige, natürlich heimliche, Mätresse des Bürgermeisters. Eine Gratwanderung, sagte sie immer zu sich und wusste um die Feinheit ihrer Sprache. Sie hielt was auf Stil, immer schon. Als hochblondierte Anfangsvierzigerin, die sich gerne als Mitte dreißig ausgab, spielte sie das Spiel der vielen. Mehr scheinen als sein. Sie war nicht die Hellste, das wusste sie wohl, aber sie wusste auch, wann und wo der Würfel fiel und vor allem, wer den Würfelbecher in der Hand hielt.
Das mit Hans hatte so nett und einfach angefangen. Ein kleiner Tanz, ein bisschen die Brust raus und die Hand dorthin, wo der Mann noch Mann war. Schon stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Mit sechs Bieren im Bauch hatte ihr Gatte das auch noch toll gefunden. Alle Achtung, hatte ihr Alfons anerkennend genickt, der Bürgermeister immerhin.
Wie es dann aber wirklich richtig losgegangen war, das war süß gewesen. Hans hatte sie angerufen, gleichzeitig ihren Mann auf dem Bau gewusst, und war einfach mal so vorbeigekommen. Stand vor ihr, sagte, er wolle jetzt und sie solle bitte. Dann schnell ein wenig küssen, und schon flog ihr Büstenhalter durchs Wohnzimmer. Der Mann war förmlich explodiert. Sie hatte kaum folgen können. Und dann ging’s ab! Als ob eine Kuh seit Monaten nicht mehr gemolken worden wäre, so war das gewesen. Das war ihr in Erinnerung geblieben. Sie hatte sich so voll gefühlt. Aber es war toll. Kein Vergleich zu ihrem Alfons. Freilich war er ihr Mann, aber Hans eben jetzt halt auch. Das lief dann ja auch gut. So hin und wieder eine Nummer, Hans sagte immer »Stelldichein«, stimmte ja auch ein bisschen. Aber irgendwie …
Ein Irgendwie ging auch Kommissar Thomas Knöpfle gerade im Kopf herum. Er war mal wieder in Gedanken. Das ging ihm in letzter Zeit öfter so. Er saß in seinem kleinen Büro in der Pfenninger Innenstadt, schaute zum Fenster hinaus und dachte über sich nach. Es war ein schöner Morgen, die Sonne schob sich gerade über den Albtrauf, und um diese Zeit fiel auch in sein sonst eher dunkles Büro ein wenig Licht. Er stand auf, ging zum Lichtschalter und machte die Deckenlampe aus. Das künstliche Licht hatte so was Bürokratisches. Mit langsamem Schritt ging er zurück zu seinem Schreibtisch. Er zögerte, als ob er auf etwas warten würde. Noch hatte er sich nicht wieder gesetzt.
Eigentlich hatte er sich das anders vorgestellt, als er auf die Nachfrage seines Vaters, was er denn mal werden wolle, ohne Nachdenken geantwortet hatte: »Das Gleiche wie du, aber halt richtig!« Sein Vater war Hauptwachtmeister in dem kleinen Städtchen am Albtrauf gewesen. Ein korrekter Beamter, der rückblickend auf seine lange Karriere einen Viehdiebstahl als größtes ermittlungstechnisches Ereignis nennen konnte. Viel mehr war in Knöpfles eigener Karriere bei der Kriminalpolizei auch noch nicht passiert. Heute war der Vater stolz auf seinen Sohn, der sozusagen seine Nachfolge angetreten hatte, wenn auch im höheren Dienst. Aber für Knöpfle war das hier in Pfenningen nicht genug. Genug ist nie genug, das hatte er Konstantin Wecker in früheren Zeiten nachgesungen. Aber wie sollte man, er, von diesem Pfenninger Revier wegkommen? Hier passierte doch nichts, aber so wirklich gar nichts. Wie das gehen sollte, stand als Frage vor Thomas Knöpfle im Raum.
»Des isch doch z’ donkel!«, ließ sich eine mürrische Stimme von nebenan vernehmen. Sein Kollege Schirmer, dessen Büro durch einen offenen Türbogen mit dem seinen verbunden war und dessen Deckenlampe seltsamerweise mit demselben Schalter zu schalten war wie die seine, zeigte wenig Verständnis für Knöpfles
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