Leberkäsweckle
prominenteste Kirche der Stadt, deren Vorgängerbau bis in romanische Zeiten zurückging. Ein beschaulicher Marktplatz mit Rathäusern, einer Kirche und ein paar Ladengeschäften. Ja, nur ein paar, denn obwohl seit einigen Jahren ein Tunnel den Durchgangsverkehr von der Alb »ra ond nauf« – also: runter und rauf – geschluckt hatte, konnte sich der Einzelhandel in Pfenningen kaum halten.
Kein Wunder, wie ehedem ihre Vorfahren, die sich als Raubritter durchs Mittelalter geschlagen hatten, zogen heute diese vermaledeiten Beutlinger mit ihren zig Schuhgeschäften, Ladenketten, Bekleidungshäusern und vor allem Möbelhäusern in Hülle und Fülle die Kunden in diese sogenannte Großstadt, und zurück blieb, einsam und ausgestorben: der Pfenninger Marktplatz. Ein Thema, das vor allem im Gemeinderat immer wieder heiß diskutiert auf den Tisch kam. Die Maßnahme, an den Ortseingängen mit kostenlosen Parkplätzen zu werben, war zwar sicher gut gemeint gewesen. Sinn eines Parkplatzes war allerdings, dass man in dieser Stadt auch etwas erledigen und einkaufen konnte. Und dem war weniger so. Hätte man an diesen Schildern Kameras aufgestellt und die Gesichter der Pfenninger aufgenommen, wenn sie daran vorbeifuhren, das wäre eine unterhaltsame Bilderserie mit verschiedenen Kopfschüttlern geworden.
Nun gibt es so etwas ja oft in deutschen Landen, dass die eine Stadt mit der andern nicht kann. Wie auch immer die Beweggründe, wo auch immer die Ursache für solche doch meist flache Vorurteile sein mögen, auch in diesem Fall waren die Auswirkungen fast so direkt und deutlich wie zwischen den Fans rivalisierender Fußballclubs. So standen sich Beutlingen und Pfenningen in etwa so unversöhnlich gegenüber wie Dortmund und Schalke, wobei Pfenningen dann schon eher die Rolle des alten Schalke zufiel.
Im Pfenninger Rathaus römisch eins, denn so waren die Häuser zu unterscheiden, befand sich die Kernzelle örtlicher Verwaltungsmacht, der Bürgermeister und die maßgeblichen Ressorts. Hier liefen die Fäden aus den anderen Dependancen zusammen, hier wurde die hiesige Politik gedacht und dann, manchmal, auch gemacht. Hier liefen die Köpfe heiß, hier wuselte es an Betriebsamkeit, wenn Tag der offenen Amtstür war. Und wenn es ein echtes Problem gab, dann fand sich auch bald der, vielmehr die richtige Ansprechpartnerin dafür, und das war, über allen anderen schwebend, Frau Gerda Schickle.
Sie saß an der Zentrale, waltete und schaltete, dass es eine rechte Freude war. Als Bürgermeistersekretärin bekam sie schon allerhand mit, aber ihre Kontakte reichten weiter zu den anderen Sekretärinnen, in Beutlingen, sogar nach Tübingen ins Landratsamt, zum Regierungspräsidium, ja, manche munkelten, die Schickle habe – mit Kontakten bis hinein in die Landesregierung – dieses Grün-Rot überhaupt erst auf den Weg gebracht. Ein Regierungswechsel, der, hätte man ihn einem einigermaßen vernünftigen Menschen noch vor ein paar Jahren als Möglichkeit genannt, für völlig undenkbar gehalten worden wäre. Nun war er Realität.
Auswirkungen auf die hiesige Verwaltung waren allerdings noch nicht festzustellen. Keine grünen Fahnen wehten vor dem Rathaus, und auch der Müsli-Verzehr war laut Gerda Schickle noch nicht nennenswert gestiegen. Allerdings, so Gerda Schickle, waren einige Mitarbeiter, vor allem eher die unteren Chargen, inzwischen öfter auch mal mit dem Fahrrad zur Arbeit kommend gesehen worden. Also doch, erste Anzeichen. Ein Land entwickelte sich. Zeit dafür wurde es, nachdem die CDU über Jahrzehnte das Land ins Mittelalter zurück regiert hatte. Jetzt sollte es mit grün-rotem Karacho nach vorne gehen.
Mit Karacho hatte der Werdegang von Pfarrer Leonhard wenig zu tun. Er hatte sich schon früh zum Beruf des Pfarrers entschlossen, und obwohl in der evangelischen Kirche auch Familie möglich war, hatte es das bei ihm nicht gebraucht. Er ging in seiner Aufgabe auf, war Pfarrer mit Leib und Seele und konnte sich nichts Schöneres vorstellen.
Auch Pfenningen war ihm Wunschort und Bestimmung. Die Gemeinde nicht zu groß und doch die größte evangelische Gemeinde der Stadt, und er der Dienstälteste, das lief gut. Er war derjenige, der die Geschicke der Gemeinden lenkte. Das ermöglichte ihm eine recht lockere Gestaltung seines Dienstplans und damit auch die Gelegenheit, das bald anstehende Wochenende einfach mal freizunehmen.
Ans Wochenende konnte Gerda Schickle nun wirklich noch nicht denken. Ihr Tag hatte heute
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