Lebt wohl, Genossen!
dem Schwarzen Meer gebaut worden, angeblich auf Veranlassung der First Lady Raissa Gorbatschowa, die auf keinen Fall im nahe gelegenen ehemaligen Sommerhaus Breschnews ihren Urlaub verbringen wollte. Als der Präsident am 9. August Moskau verließ, schien er trotz der schwierigen Lage relativ zuversichtlich zu sein. Er fühlte sich durch den Besuch seines amerikanischen Kollegen Bush Mitte Juli gestärkt, und kurz vor seiner Abreise gelang es ihm, einen Konsens mit den meisten Parteichefs der Union zu finden. Sein Urlaub sollte am 19. August enden, und für den ersten Arbeitstag, den 20. August, war die Unterzeichnung des «Bundesvertrags» geplant, der den Erhalt der UdSSR als lockerer Staatenbund sichern sollte. Auf diesen Traum folgte ein recht böses Erwachen, als am Morgen des 19. August sein Telefon nicht mehr funktionierte und auch die vertraute persönliche Wache vor dem Haus abgezogen worden war. Gorbatschow begriff von Anfang an, dass es sich um einen Staatsstreich handelte. So blieb er, Führer der Supermacht Nummer zwei, allein mit dem Meer und dem berühmten Atomkoffer.
Putschführer Krjutschkow ging zu einer flächendeckenden Observierung Gorbatschows und seiner Familie über. Das Journal des Diensthabenden für das «Objekt Morgenröte» ist in dieser Hinsicht ein einzigartiges Dokument. Der Alltag des Ersten Mannes wurde darin genauso festgehalten wie der eines Dissidenten zu Breschnews Zeiten. So erhielt der Vater der Perestroika die Observationsnummer 111, seine Frau die 112. Und in aller Ernsthaftigkeit wurde notiert: «12.40 Uhr: 111 verlässt das Haus. 12.45 Uhr zum Strand. 13.20 Uhr: 112 verlässt den Swimmingpool. 18.24 Uhr: 111 kommt vom Strand. 18.30 Uhr: 111 befindet sich im Swimmingpool. 19.04 Uhr: 111 verlässt den Swimmingpool.» Zwischendurch lief der Draht heiß, Froschmänner und Elektronik kamen ins Spiel: Um 15.24 Uhr meldete die Boje 3 als Signal eine Verletzung der Wassergrenze von «Morgenröte». Zum Glück folgte gleich die Entwarnung: Das Objekt dürfte ein Delfin gewesen sein.
Die Putschisten: betrunken, mit zitternden Händen
Der Putschversuch des selbst ernannten «Staatskomitees für den Ausnahmezustand in der UdSSR» handelte rational, was die logistische Seite eines Staatsstreiches anbelangte. Was die Sicherung des Projekts insgesamt betraf, war das Vorgehen ziemlich dilettantisch, und in Bezug auf die politische Konzeption war es vollständig ideenlos. Obwohl die ersten Maßnahmen, die Umzingelung der Hauptstadt und der demonstrative Aufmarsch mit Panzern – der Militäraktion in Wilna verblüffend ähnlich –, keinen geringen Schrecken erzeugten, zeigte bereits die erste Pressekonferenz die Schwäche der Putschisten. Sie saßen, teilweise angetrunken, mit sichtbar zitternden Händen vor den Mikrofonen und konnten keine konkreten Pläne vorbringen. Vor allem aber sahen sie tatenlos zu, wie ihr eigentlicher Gegner, der russische Präsident Boris Jelzin, die Initiative übernahm. Dieser konnte von Anfang an mit der Unterstützung der «Kraftstrukturen», der Armee und des KGB, rechnen und genoss mehr denn je das Vertrauen der Bevölkerung. Er rief die Putschisten über die freien Medien dazu auf, ihre staatsfeindliche Tätigkeit zu beenden und die gesetzmäßigen Befugnisse des Präsidenten Gorbatschow wiederherzustellen.
Nach einigen angespannten Tagen brach das riskante Unternehmen zusammen. Zwei der wichtigsten Hintermänner des Staatsstreichs, GeneralstabschefMarschall Achromejew und Innenminister Generalmajor Pugo, begingen Selbstmord. «Ich kann nicht mehr leben, wenn meine Heimat stirbt, wenn all das vernichtet wird, was ich für den Sinn meines Lebens hielt», hieß es in Achromejews erschütterndem Abschiedsbrief. Die anderen wichtigen Teilnehmer wurden verhaftet und bald vor Gericht gestellt – erst mit der Amnestie 1994 kamen sie wieder frei.
1991: Die Moskauer protestieren gegen den Staatsstreich auf der Gorkistraße
Spätabends am 21. August landete in Moskau das Flugzeug, das den sichtlich angeschlagenen Michail Gorbatschow und die im Schockzustand befindliche Präsidentengattin von der Krim zurückbrachte. Ein paar Tage später fand die feierliche Beerdigung der Opfer des militärischen Abenteuers statt: drei junge Menschen, die von Panzern überrollt worden waren. Der Staatschef Gorbatschow erschien zu diesem Anlass nicht, verlieh aber jedem der jungen Toten postum den Titel «Held der Sowjetunion». Es waren die letzten drei Auszeichnungen
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