Lebt wohl, Genossen!
blutigen Unruhen in Tiflis, ebenso in Baku im Januar 1990 geschehen. Bis heute ist unklar, ob dabei Gorbatschow von seinen Intimfeinden innerhalb des Apparats an der Nase herumgeführt worden ist oder aber, unter dem Druck der «Falken» im Politbüro, die Aktion halbherzig mitgetragen hat. Jedenfalls befand sich der frisch gekürte Friedensnobelpreisträger in einer Zwickmühle: Isoliert von der demokratischen Massenbewegung im Lande, wurde er zunehmend zur Geisel jenes Apparats, der nur auf einen günstigen Augenblick wartete, um den Vater der Perestroika loszuwerden. Seine Freunde von gestern vertrauten ihm nicht mehr, und seinen aktuellen «Freunden» konnte er keinesfalls vertrauen.
L ICHT AM E NDE DES T UNNELS
Immerhin erschien ein kleines Licht am Ende des Tunnels: Die führenden Politiker der Moskauer Zentrale und der meisten Republiken einigten sich nach zähen Verhandlungen in Gorbatschows Residenz in Nowo-Ogarewo auf ein Bündnis, die «Union der Souveränen Sowjetrepubliken», die durch einen Bundesvertrag abgesichert wurde. Zwar entsprach dieses Projekt nicht ganz der Variante, für die bei dem Referendum vom März desselben Jahres 73 Prozent der Wähler votiert hatten und die im Wesentlichen eindeutig die Beibehaltung der UdSSR vorsah. Dennoch hatten die potenziellen Unterzeichner des Bundesvertrages versucht, von der ehemaligen UdSSR wenigstens zu retten, was noch zu retten war: eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik sowie einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit einheitlicher Währung, eine Konföderation mit Moskau als Hauptstadt und Russisch als offizieller Sprache.
Volksabstimmung am 17. März 1991, Wahlzettel mit der Frage: Halten Sie die Beibehaltung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als erneuerter Föderation gleichrangiger souveräner Republiken, in der die Rechte und die Freiheiten der Menschen jeglicher Nationalität vollständig garantiert werden, für notwendig! Ja Nein
In diesem historischen Moment hing das Schicksal des Riesenreiches wie nie zuvor von der persönlichen Beziehung der beiden Protagonisten ab, des sowjetischen und des russischen Präsidenten. Ihre Vereinbarung, so erinnerte sich der Berater Georgij Schachnasarow an die heißen Sommertage 1991, «wurde zur Quelle einer eigentümlichen Euphorie. Fast in demselben Moment, als die beiden Armeen bereit waren, sich in ein heilloses Handgemenge zu begeben, gehorchten ihre Führer der Stimme des Volkes und einigten sich, in Frieden miteinander zu leben. Das Ereignis wurde sogar mit einem Glas Champagner gefeiert. Wie später Michail Sergejewitsch erzählte, stießen er und Boris Nikolajewitsch sogar miteinander an und tranken auf ihre Gesundheit.» Nun meinte der sowjetische Präsident, vor der für den 20. August geplanten Unterzeichnung des Bundesvertrageskönne er ruhig seinen wohlverdienten Urlaub in Foros auf der Krim antreten.
Anlässlich der Wahl von Boris Jelzin zum russischen Präsidenten brachte die sowjetische Post eine Briefmarke im Wert von 7 Kopeken, mit der Darstellung des «Weißen Hauses», Sitz des russischen Parlaments, in Umlauf
Unmittelbar vor seiner Abreise fand noch ein Treffen in Nowo-Ogarewo statt, an dem neben Gorbatschow und Jelzin auch der kasachische Parteichef Nursultan Nasarbajew teilnahm. Sie fixierten alle Details der Unterschriftenprozedur und einigten sich auf personelle Veränderungen, die der Zeremonie am 20. August folgen sollten. Entlassen werden sollten KGB-Chef Krjutschkow, Verteidigungsminister Jasow, Ministerpräsident Pawlow, Innenminister Pugo, Vizepräsident Janajew und noch viele weitere hohe Tiere aus der Nomenklatura. Wahrscheinlich sollte auch das Parlament der Union Souveräner Staaten von jemand anderem als dem notorisch unzuverlässigen Anatolij Lukjanow geleitet werden. Die Stimmung war gelöst, man hatte gut gegessen und viel getrunken, und doch wurde der Abend von einer merkwürdigen Unruhe dominiert, die Jelzin auf den Punkt brachte: «Ich habe den Eindruck, Krjutschkow hört jedes unserer Worte.» Dann witzelten sie noch eine Weile über Wände, die Ohren haben.
Das Abhörprotokoll des KGB von diesem Gespräch fand man in derletzten Augustwoche im Safe von Walerij Boldin, einem der Rädelsführer des Staatsstreichs, seines Zeichens Leiter des Apparats des Präsidenten.
D ER P UTSCH
Die Datscha in Foros auf der Halbinsel Krim war geheimdienstlich als Objekt «Sarja» (Morgenröte) getarnt. Sie war kurz zuvor fast direkt in eine Felswand über
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