Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebt wohl, Genossen!

Lebt wohl, Genossen!

Titel: Lebt wohl, Genossen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: György Dalos
Vom Netzwerk:
organisierte, die als Kulturfestivals getarnt wurden («Ich besinge dich, Rumänien, Cintarea Romania»). Das Land war isoliert und streng abgeschottet, nur manchmal sickerten Informationen durch. So geschah es etwa im September 1977, als der Altkommunist Parvulescu auf dem Parteitag der KPR offen gegen Ceauşescu auftrat. Es dauerte einige panische Sekunden, bis die Direktübertragung im Fernsehen abgebrochen wurde und auf dem Bildschirm die beruhigende Information «Technische Panne» erschien.
    An den Büchern des Conducators herrschte kein Mangel. Selbst vor dem Sturz wurde er noch gefeiert
    Das Theater in Kronstadt (Braşov), August 1989

II.
K RÄNKELNDE S TAATSMÄNNER,
MARODE S TAATEN
 ( 1980–1985 )
    Bereits der erste Mensch war krank, obwohl er dissimulierte,
und selbst dem Schöpfer ging es schlecht, als er die Welt kreierte.
Verzweifeln Sie doch bitte nie, das macht alles zunichte!
Des Landes ganze Historie ist eine Krankengeschichte.
    Wladimir Wyssozki, Barde
D IE «POLNISCHE L ÖSUNG» – V ERSUCH EINER M ILITÄRDIKTATUR
    Am frühen Sonntagmorgen des 13. Dezember 1981 erschien im polnischen Fernsehen ein uniformierter Moderator und sagte eine Erklärung des KP-Chefs, Ministerpräsidenten und Verteidigungsministers General Jaruzelski an. Dieser verkündete in einer kurzen Rede die Gründung eines «Militärrates der nationalen Errettung» (WRON) und die Verhängung des Kriegsrechts. Polen stehe «am Rand eines Abgrunds», sei durch «Chaos und Demoralisierung» bedroht, «ein Weiterbestehen dieses Zustandes würde unweigerlich zur Katastrophe führen». 5000 Oppositionelle und Solidarność-Aktivisten wurden verhaftet oder interniert, Gewerkschaftsführer Lech Wałęsa unter Hausarrest gestellt. Die Militärs besetzten alle strategischen Punkte, patrouillierten auf den Straßen und verfügten ein Ausgehverbot in den späten Abendstunden. Telefonverbindungen wurden für 29 Tage eingestellt, und selbst danach konnte mitten im Gespräch eine Tonbandstimme warnen: «Dieses Gespräch wird abgehört.» In den darauffolgenden Auseinandersetzungen wurden elf Personen von den Spezialeinheiten des Innenministeriums ZOMO getötet. Die Weltöffentlichkeit war empört und sprach von sowjetischem Druck, der diesen Schritt erwirkt habe. Der Westen reagierte mit einem Kreditboykott gegen praktisch alle Ostblockstaaten.
    Zum Polenbesuch des Papstes Johannes Paul II. im Sommer 1982 ließ die Untergrund-Solidarność diese Postkarte drucken
    Die Einführung einer Militärdiktatur im zweitgrößten Land des Warschauer Vertrags bedeutete nach Ungarn 1956 und der ČSSR 1968 zunächst das Scheitern des dritten Versuches, Änderungen gegen die KP und die sowjetischen Machthaber durchzusetzen. Dennoch: Zum ersten Mal war die Niederschlagung nicht mit einer direkten sowjetischen Präsenz verbunden – man sprach vielmehr von einer «Autoinvasion». Die Konflikte zwischen Staat und Gesellschaft in Polen wurden mit der diskreten Vermittlung der katholischen Kirche ausgetragen, und es war klar, dass die Gewerkschaftsbewegung zwar geschwächt, nicht aber vernichtet werden konnte. Polnische Untergrundstrukturen – Gewerkschafts- und Oppositionsgruppen, Verlage, Journale und «freie Universitäten» – zählten laut Geheimdienstberichten Mitte der Achtzigerjahre 40.000 Mitglieder.
    Zudem wurde die wirtschaftliche Lage des Landes, auch durch den weltweiten Boykott des tief verschuldeten Staates, immer schwieriger. 1985 erreichte die Verschuldung pro Kopf der Bevölkerung 893 US-Dollar und fraß 252 Prozent der Exporterlöse. Im Konsumbereich herrschte außerhalb der Schattenwirtschaft eine elementare Lebensmittelknappheit. So gab esim schlesischen Wintersportort Szczyrk in den Beskiden eine Drahtseilbahn zwischen zwei Bergen. An beiden Stationen stand ein Büfett, an dem die Wintertouristen bei Eiseskälte ausschließlich Tee und Krautsuppe bekamen. So hofften und beteten die Polen den nächsten Papstbesuch herbei. Dieser folgte im Juni 1983 und endete mit einem Treffen Johannes Pauls II. mit dem immer noch stark isolierten Gewerkschaftsführer Lech Wałęsa. Schon bald nach diesem Ereignis wurde das Kriegsrecht offiziell aufgehoben.
D ER SCHLECHT VERSCHLEIERTE B ANKROTT – U NGARN
    Ungarn, das Land des «Gulaschkommunismus», befand sich früher und in einem höheren Maße in der Schuldenfalle als alle anderen Ostblockstaaten. Die Verschuldung pro Kopf der Einwohner betrug 1985 immerhin 1311 US-Dollar. Die Besonderheit

Weitere Kostenlose Bücher