Lebt wohl, Genossen!
– klang das süße Liedchen, von dem es im Hinblick auf die größte Minderheit des Landes auch eine sorbische Fassung gab. Die Erwachsenen schauten danach die Nachrichtensendung «Aktuelle Kamera» an, schalteten dann direkt auf die Tagesschau und tauchten für ein paar Stunden in die parallele bundesdeutsche Wirklichkeit ein. Von diesem exklusiven Erlebnis, das keinem anderen Ostblockland bekannt war, blieben die südöstlichen Bezirke der DDR ausgeschlossen, in denen kein Empfang möglich war und die deshalb im Volksmund als «Tal der Ahnungslosen» galten.
Flächendeckend war hingegen das «Intershop»-Verkaufsnetz, das dichter gespannt war als das der Genex in Polen, Tuzex in der ČSSR und Corecomin Bulgarien. Hier roch es nach Kaffee, Tee, Tabak, Schokolade und Parfum. Das Angebot, zu dem auch Spirituosen, Spielzeug, Jeans, Fernseher und anderes gehörte, bestand teilweise aus westlich etikettierten Produkten «Made in GDR», zeichnete sich jedoch durch ein im westlichen Vergleich niedriges Preisniveau aus. Wer sich nach mehr sehnte und großzügige Verwandte im Westen hatte, konnte den Geschenkdienst der staatlichen Firma Genex in Anspruch nehmen, der praktisch jeden Käuferwunsch erfüllen konnte – inklusive der heiß begehrten Autos, die man sonst nur nach jahrelangem Warten erwerben konnte. Die massive Präsenz der kapitalistischen Warenwelt, ergänzt um die Fernsehwerbung, ließ eine materielle Differenzierung innerhalb der Bevölkerung sichtbar werden, die im krassen Widerspruch zur rigiden kommunistischen Gleichheitsmoral der früheren Jahrzehnte stand.
Sigmund Jähn – der DDR-Bürger im Weltall 1978
Sonntagnachmittag in Hoyerswerda, Anfang der Achtzigerjahre
Offizielle Protestkundgebung gegen die Pershings
Wachsende Probleme hatte die SED-Führung auch mit der früher vorsichtigen Intelligenz, dem beginnenden Dissens um den «ostdeutschen Sacharow» Robert Havemann und dem Liedermacher Wolf Biermann. Die Songs Biermanns zeichneten sich durch eine witzige, populäre Sprache aus und prangerten die Unfreiheit und Verlogenheit des Systems an. In einem satirischen Lied betrachtete Biermann die Grenzbefestigung der DDR sogar als eine Parodie der chinesischen Großen Mauer: «Karl Marx, der Revolutionär/hat großes Glück, er lebt nicht mehr,/denn wenn er heut am Leben wär, Genosse meiner Trauer,/dann lebte er nicht lange mehr,/man zöge ihn aus dem Verkehr,/und fragst du, wo, das ist nicht schwer:/In China hinter der Mauer.» Das System rächte sich im November 1976 an dem spöttelnden Liedermacher, indem es diesen während einer Konzertreise in die Bundesrepublik Deutschland kurzerhand ausbürgerte. Allerdings blieb diesmal der Bumerangeffekt nicht aus: Mehr als hundert Künstler, unter ihnen auch hochdekorierte SED-Mitglieder, protestierten gegen den Willkürakt. Einer der aktivsten Protestler, der Wissenschaftler Robert Havemann, wurde daraufhin unter Hausarrest gestellt, ein anderer, der Lyriker Jürgen Fuchs, ein Jahrlang im Gefängnis festgehalten und dann zum Verlassen der DDR gezwungen.
Fröhlicher sozialistischer Alltag
Die Nähe zum anderen deutschen Staat bereitete am Anfang der Achtzigerjahre noch ein spezielles Problem für die ostdeutsche Führung. Als Protest gegen die Aufstellung der Pershing-Raketen – was allerdings eine Antwort auf die Stationierung der sowjetischen SS-20-Raketen war – entstand in der freien Welt eine starke Protestbewegung (Großkundgebung in Hamburg 1981 mit 300.000 Teilnehmern), deren Echo über die bundesdeutschen Medien die DDR erreichte. Die Regierung versuchte den westlichen Protest propagandistisch zu verwerten, war aber beunruhigt von der Entstehung östlicher Friedensgruppen, welche unter der Ägide der evangelischen Kirche tätig waren.
Neben reichlichem Essen und Trinken gehörte in der «normalisierten»Tschechoslowakei auch das Autofahren zum Konsum. Hier: ein landeseigener Skoda
D IE «NORMALISIERTE R EPUBLIK» – Č SSR
Die ČSSR litt Mitte der Siebzigerjahre noch immer unter dem Schock vom August 1968. Die Gesellschaft war apathisch, auf Konsum und gelegentliche Westreisen versessen, und die ökonomische Situation war relativ komfortabel. Dabei blieb die tschechoslowakische Wirtschaft vergleichsweise leistungsfähig, und die Verschuldung gegenüber den westlichen Banken hielt sich im bescheidenen Rahmen. (1985: 591 US-Dollar pro Kopf der Bevölkerung. Zum Vergleich Polen: 1261 Dollar, Ungarn: 1311 Dollar.) Formal hielt man noch an
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