Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 2 - Der Agent und die Söldnerin
es durch die Melodie zu ersetzen.
Einen Moment lang klimperte er Tonleitern herauf und herunter, dann fand er wieder den harten Beat und erfüllte den Raum damit, wobei die Töne in seinem schmerzenden Kopf vibrierten. Eine kleine Unsicherheit, die er jedoch schnell überwand. Mit der rechten Hand fing er den Takt ein, mit der Linken webte er die Melodie darum. Er beschleunigte das Tempo, dies weckte die Erinnerung an einen älteren Rhythmus, den er aufgriff und von dort aus weiter improvisierte …
Er nahm die rechte Hand kurz von den Tasten, stellte Ventile und Register neu ein, verstärkte den Klang. Die Bilder in seinem Kopf wichen zurück. Die Namen der Toten, die er gekannt hatte, und die Gesichter der Menschen, die namenlos gestorben waren, verschwanden aus seinen Gedanken, vertrieben durch die Macht der Musik, jedoch bereit, jederzeit wieder ihr Versteck zu verlassen.
Abermals dämmerte ihm eine Erkenntnis, die beinahe im Brausen der Töne unterging: dieses Talent gehörte Val Con yos’Phelium, er lebte es aus und pflegte es, weil es ihm Freude machte, nicht, weil er musste.
Der schnelle Rhythmus ging über in sanftere Klänge; er spielte, was ihm gerade einfiel, und plötzlich merkte er, dass er ein Klagelied von einem Planeten anstimmte, den er in seinen Anfängen als Scout besucht hatte. Er interpretierte die Melodie noch ernster und getragener, als sie ohnehin schon war. Als er das Ende des Stücks erreichte, leitete er nicht zu einem neuen Motiv über, sondern hörte auf zu spielen.
Die Musik schwebte noch eine Weile länger im Raum, während die Chora die Totenklage allmählich ausklingen ließ. Danach ließ er den Kopf nach vorn sacken, ausgepumpt, von sämtlichen Emotionen befreit.
Ich muss ins Bett, sagte ihm sein Verstand, der plötzlich wieder messerscharf funktionierte. Ich brauche Ruhe. Sofort.
Er stand auf und sah sie, die Fremde, der er das Leben gerettet hatte. Sie stand in der offenen Tür des Schlafzimmers, ohne Weste und Pistole, das rote Haar fiel ihr offen über die Schultern, die Bänder ihrer Bluse aufgeschnürt. Aus grauen Augen blickte sie ihn ruhig an. Ihrer Miene vermochte er nicht zu entnehmen, was in ihr vorging.
Sie verbeugte sich leicht, die Handflächen aneinandergelegt, nach Art der Terraner.
»Danke«, sagte sie, drehte sich um und schlüpfte ins Zimmer zurück.
»Gern geschehen«, erwiderte er, aber die Tür war bereits geschlossen.
Langsam begab er sich in das andere Schlafzimmer. Später konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie er ins Bett gekommen war.
4
Miri erwachte, streckte sich langsam und warf einen Blick auf die Uhr. Seit sie sich schlafen gelegt hatte, waren zehn Stunden vergangen. Nicht schlecht. Sie wälzte sich aus dem Bett und ging ins Bad.
Eine halbe Stunde später, von der Dusche erfrischt, zog sie ihre Pistole unter dem Kopfkissen hervor und steckte sie in die tiefe Tasche des Overalls, den ihr der stumme Diener im Bad besorgt hatte. Danach machte sie sich auf die Suche nach Proteinen, Kohlehydraten und Ideen.
Das Erste, was sie in der Küche fand, war Kaffee, gebrüht aus echten terranischen Kaffeebohnen. Die dampfende Tasse griffbereit, wählte sie sich etwas zu essen aus, dann rief sie auf dem in den Tisch eingelassenen Bildschirm die Lokalnachrichten auf.
Die wichtigste Neuigkeit des Tages langweilte sie. Es ging um eine Explosion im Hauptquartier der hiesigen Terraner-Partei. Es gab einen Toten und zwei Verletzte. Man suchte nach einem gewissen Terrence O’Grady, der die Bombe geworfen hatte. Ein Bild dieses O’Grady wurde eingeblendet – auch das fand sie belanglos, und sie drückte auf die Taste ENTFERNEN, um nach interessanteren Informationen zu forschen.
Verkehrsunfall. Nur Sachschaden. Heute traf sich die Roboter-Kommission … ENTFERNEN, sagte sie sich und drückte auf die Taste …
Sie trank einen Schluck Kaffee und fand ihn genauso köstlich wie den Scotch, den sie am vergangenen Abend genossen hatte. Manche Leute haben halt die richtigen Jobs, dachte sie. Scotch und Kaffee …
In rascher Folge spulte sie drei weitere Artikel herunter, dann hielt sie inne und las den kurzen Bericht über sechs Leichen, die man in einer Gasse im Speicherviertel entdeckt hatte. Die Polizei mutmaßte, es handele sich um ein Werk der Juntavas.
Ein paar Sekunden später stieß sie auf einen Beitrag, der von einer Reihe von Fahrzeugdiebstählen handelte; vier Roboter-Taxis waren entführt worden. Sämtliche Wagen hatte man
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