Legend - Fallender Himmel
Unangenehmes aber auch, was? Aber dann fiel ihnen der Krieg gegen die Kolonien ein. Also nehmen die Wissenschaftler jedes Mal, wenn in ihren Fleischfabriken ein interessantes neues Virus auftritt, Proben und modifizieren sie so, dass der daraus entstehende Erreger auch Menschen befallen kann. Als Nächstes stellen sie passende Impfungen und Gegenmittel dafür her. Dann muss sich die gesamte Bevölkerung einer Pflichtimpfung unterziehen, bis auf die Bewohner einiger Armenviertel. Es gibt Gerüchte, dass gerade ein neuer Erregerstamm in den Sektoren Lake, Alta und Winter getestet wird.
Sie pumpen das Virus durch ein unterirdisches Leitungssystem in die Slumviertel. Manchmal über die Trinkwasserversorgung und manchmal direkt in einzelne Häuser, um zu sehen, wie es sich ausbreitet. So bricht dann jedes Mal eine neue Seuchenwelle aus. Wenn sie meinen, genug über die Auswirkungen des Erregerstamms erfahren zu haben, spritzen sie den Bewohnern der betroffenen Sektoren (das heißt, denen, die noch am Leben sind) während einer Routinekontrolle das Gegenmittel und die Seuche verschwindet, bis zum nächsten Testverfahren. Sie führen auch individuelle Seuchenversuche durch, an Kindern, die den Großen Test nicht bestanden haben. Die werden nicht in Arbeitslager gebracht, June.
Keins von ihnen.
Sie sterben.
Verstehst du, worauf ich hinauswill? Sie benutzen die Seuchen, um die Menschen mit vermeintlich minderwertigen Genen auszurotten, genauso, wie sie durch den Großen Test die Besten herausfiltern. Aber sie züchten auch Viren, um sie gegen die Kolonien einzusetzen. Schon seit Jahren nutzen sie biologische Waffen im Kampf gegen sie. Es interessiert mich nicht, was mit den Kolonien passiert oder womit genau unsere Republik die Menschen da malträtiert - aber June, unsere eigenen Leute werden hier als Laborratten missbraucht. Dad hat in einem von diesen Laboren gearbeitet, und als er aussteigen wollte, haben sie ihn umgebracht. Und Mom gleich mit. Sie hatten Angst, dass sie es weitererzählen würden. Und welche Regierung riskiert schon gern einen Massenaufstand? Unsere jedenfalls nicht.
Wir werden alle irgendwann genauso sterben, June, wenn nicht irgendjemand etwas unternimmt. Früher oder später wird so ein Virus außer Kontrolle geraten und dann wird keine Impfung und kein Gegenmittel es aufhalten können.
26. November
Thomas weiß Bescheid. Er weiß von meinem Verdacht und dass ich vermute, dass die Regierung unsere Eltern vorsätzlich ermordet hat.
Ich frage mich, wie er erfahren hat, dass ich in die Datenbank eingedrungen bin, und ich werde die Befürchtung nicht los, dass ich doch Spuren hinterlassen habe und diese Techniktypen, die die Sicherheitslücke behoben haben, es gemerkt und Thomas informiert haben. Heute ist er zu mir gekommen und hat mich darauf angesprochen.
Ich habe ihm erzählt, dass ich noch immer um unsere Eltern trauere und deshalb vielleicht ein bisschen paranoid bin. Habe ihm erzählt, ich hätte nichts gefunden. Ich habe gesagt, du wüsstest von nichts und dass er dir auch nichts davon erzählen soll. Er meinte, er würde es für sich behalten. Ich glaube, ich kann ihm vertrauen. Trotzdem bereitet es mir ein bisschen Bauchschmerzen, dass überhaupt jemand von meinem Verdacht weiß. Ich meine, du weißt ja, wie Thomas manchmal ist.
Ich habe einen Entschluss gefasst. Ende dieser Woche werde ich Commander Jameson sagen, dass ich ihre Einheit verlassen werde. Ich werde einfach ein bisschen über die Arbeitszeiten jammern und sagen, dass ich dich nicht oft genug zu Gesicht bekomme. Irgendetwas in der Art. Ich schreibe wieder, wenn ich eine neue Stelle habe.
Ich befolge Metias’ Instruktionen und lösche seinen Blog und jeglichen Hinweis darauf.
Dann rolle ich mich auf dem Sofa zusammen und schlafe, bis Thomas anruft. Ich drücke eine Taste auf meinem Telefon und die Stimme von Metias’ Mörder erfüllt das Wohnzimmer. Thomas, der Soldat, der seelenruhig jeden von Commander Jamesons Befehlen ausführen würde, auch wenn dieser lautet, seinen engsten Freund zu ermorden. Der Soldat, der in Day einen willkommenen Sündenbock gefunden hat.
»June?«, fragt er. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Es ist schon fast zehn und Sie sind noch nicht hier. Commander Jameson will wissen, wo Sie bleiben.«
»Mir geht’s nicht so gut«, bringe ich mühsam heraus. »Ich bleibe lieber noch ein bisschen im Bett.«
»Oh.« Pause. »Was haben Sie denn für Symptome?«
»Ach, nichts weiter«, erwidere ich.
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