Legend - Fallender Himmel
was er zu sagen hat.«
Ich esse einen weiteren Happen, bevor ich antworte. »Das tue ich auch nicht. Ich könnte genauso gut mit einem Hund reden.« Im Stillen aber denke ich: Wenn Day die Wahrheit sagt, werden sich bald eine ganze Menge Leute dafür interessieren.
Lange nachdem Thomas mich nach Hause gebracht und sich verabschiedet hat, und lange nach Mitternacht, sitze ich noch vor meinem Computer und studiere den Bericht über Metias’ Ermordung. Ich habe mir die Fotos inzwischen so oft angesehen, dass ich mich nicht mehr abwenden muss, trotzdem wird mir immer noch leicht mulmig im Bauch. Bei jedem einzelnen Foto ist der Fokus so gewählt, dass er nicht auf den Wunden liegt. Je länger ich auf die schwarzen Spuren am Messergriff starre, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass es sich dabei um die Reste von Waffenfett handelt.
Als ich den Anblick der Fotos nicht mehr länger ertragen kann, setze ich mich auf die Couch und blättere Metias’ Tagebücher durch. Wenn mein Bruder irgendwelche Feinde hatte, müssten sich doch in seinen Aufzeichnungen Hinweise finden lassen. Aber Metias war kein Dummkopf. Er hätte niemals etwas aufgeschrieben, was gegen ihn hätte verwendet werden können. Ich lese Seite um Seite seiner alten Einträge, die alle von völlig irrelevanten, banalen Dingen handeln. Manchmal schreibt er über uns. An diesen Stellen fällt mir das Lesen schwerer.
In einem Abschnitt geht es um den Abend seiner Aufnahmezeremonie in Commander Jamesons Einheit, als ich krank war. In einem anderen schreibt er darüber, wie wir meine 1500 Punkte beim Großen Test gefeiert haben. Wir hatten Eiscreme und zwei komplette Hühnchen bestellt und irgendwann an dem Abend wagte ich mich an die Kreation eines Hühnchen-Eiscreme-Sandwichs - wohl keine meiner allerbesten Ideen. Ich kann noch heute unser Lachen hören und rieche den Duft: von gebratenem Hühnchen und frischem Brot.
Ich presse meine Finger auf meine geschlossenen Augen und hole tief Luft. »Was mache ich hier bloß?«, flüstere ich Ollie zu, der neben mir auf der Couch lümmelt und mich mit schräg gelegtem Kopf ansieht. »Ich freunde mich mit einem Verbrecher an und wende mich von Leuten ab, die ich schon mein ganzes Leben lang kenne.«
Ollie erwidert meinen Blick mit dieser unermesslichen Hundeweisheit in seinen Augen und ist eine Sekunde später eingeschlafen. Ich betrachte ihn eine Weile. Vor gar nicht langer Zeit hätte Metias dort neben ihm geschlummert, den Arm über Ollies Rücken gelegt. Ich frage mich, ob Ollie gerade dasselbe denkt.
Plötzlich fällt mir etwas ein. Ich sehe mir die Seite, die ich zuletzt in Metias’ Tagebuch gelesen habe, noch einmal genauer an. Ich dachte, ich hätte dort etwas gesehen ... Da. Ich kneife die Augen zusammen und konzentriere mich auf den unteren Rand der Seite.
Ein Rechtschreibfehler.
Ich runzele die Stirn. »Seltsam«, murmele ich. Metias hat das Wort Herdplatte mit einem überflüssigen t geschrieben. Herdtplatte. Ich habe nie erlebt, dass Metias irgendetwas falsch geschrieben hätte. Ich betrachte das Wort noch eine Weile, dann schüttele ich den Kopf und beschließe weiterzulesen. Aber ich merke mir die Seitenzahl.
Zehn Minuten später finde ich den nächsten Fehler. Diesmal ist es das Wort Höhe , aber Metias hat stattdessen Hohe geschrieben.
Zwei Rechtschreibfehler. Das wäre meinem Bruder niemals zufällig passiert. Ich blicke mich um, als könnte sich im Zimmer eine Überwachungskamera befinden. Dann beuge ich mich über den Couchtisch und fange an, Metias’ Tagebücher Seite für Seite durchzugehen. Dabei präge ich mir sorgfältig die falsch geschriebenen Wörter ein. Aufschreiben will ich sie nicht, für den Fall, dass meine Notizen irgendjemandem in die Hände fallen.
Ich finde ein drittes Wort: Bürgertum. Aber auf der Seite steht Bürrgertum. Dann ein viertes: Ausstrahlung, Awsstrahlung geschrieben.
Mein Herz hämmert.
Als ich mit allen zwölf Tagebüchern fertig bin, habe ich sechsundzwanzig Rechtschreibfehler entdeckt. Alle stammen aus Einträgen, die Metias in den letzten paar Monaten verfasst hat.
Ich lehne mich auf dem Sofa zurück und schließe die Augen, sodass ich die Wörter im Geiste vor mir sehe. Eine solche Menge an falsch geschriebenen Wörtern kann nur eine Botschaft an mich sein - an die Person, die seine Tagebücher am ehesten lesen würde. Eine Geheimnachricht. Das muss der Grund gewesen sein, warum Metias an jenem schicksalhaften Nachmittag all die Kisten aus dem
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