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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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erschreckt mich das verzerrte Bild meiner Finger hinter dem Glas - erinnert mich an Metias’ verwundeten Körper. Dieses antike Glas war ein Geschenk, vermutlich von den südamerikanischen Inseln importiert, die der Republik gehören. Es ist 2150 Noten wert. Von dem Geld, das dieses Glas, aus dem ich mein Wasser trinke, gekostet hat, hätte jemand Seuchenmedizin kaufen können. Vielleicht gehören diese Inseln auch gar nicht der Republik. Vielleicht ist nichts von dem, was mir beigebracht wurde, wahr.
    In einem plötzlichen Anfall von Wut hebe ich das Glas und schleudere es gegen die Wand. Es zerspringt in Tausende von glitzernden Splittern. Ich stehe da, reglos, zitternd.
    Wenn Metias und Day sich an einem anderen Ort als in dieser Gasse hinter dem Krankenhaus begegnet wären, wären sie dann vielleicht zu Verbündeten geworden?
    Die Sonne wandert über den Himmel. Es wird Nachmittag. Ich rühre mich noch immer nicht vom Fleck.
    Schließlich, als das Sonnenlicht meine Wohnung in rotgoldenes Licht taucht, erwache ich aus meiner Trance. Ich fege die funkelnden Glasscherben zusammen. Ziehe meine Uniform an. Vergewissere mich, dass mein Haar tadellos zurückgebunden ist, dass mein Gesicht sauber ist und keinerlei Gefühle preisgibt. Im Spiegel sehe ich aus wie immer. Doch innerlich bin ich ein anderer Mensch. Ich bin ein Wunderkind, das die Wahrheit kennt, und ich weiß, was ich zu tun habe.
    Ich werde Day zur Flucht verhelfen.

DAY
    Heute Abend versuche ich, aus meinem Gefängnis auszubrechen. Und so läuft es ab.
    Als es am drittletzten Tag meines Lebens dunkel wird, dringen von den Monitoren vor meiner Zelle wieder Schreie und Tumult zu mir herein. Die Seuchenpolizei hat die Sektoren Lake und Alta komplett abgeriegelt. Das gleichmäßige An- und Abschwellen von Gewehrsalven lässt darauf schließen, dass die Einwohner der Sektoren sich den Truppen entgegenstellen. Doch nur eine Seite befindet sich im glücklichen Besitz von Maschinengewehren. Unschwer zu erraten, wer gewinnt.
    Meine Gedanken wandern wieder zu June. Ich schüttele ungläubig den Kopf, als mir klar wird, wie sehr ich mich ihr geöffnet habe. Ich frage mich, was sie wohl gerade macht und woran sie denkt. Vielleicht denkt sie ja an mich. Ich wünschte, sie wäre hier. Aus irgendeinem Grund geht es mir immer gleich viel besser, wenn sie bei mir ist. Es ist, als könnte sie all meine Gedanken nachvollziehen, und das hilft mir, sie zu ordnen - und ich finde immer wieder Trost in ihrem hübschen Gesicht.
    Vielleicht würde mir der Anblick ihres Gesichts auch wieder Mut verleihen. Ohne Tess, John und meine Mutter fällt es mir nämlich zunehmend schwerer, neuen Mut zu schöpfen.
    Ich habe den ganzen Tag nachgedacht. Wenn ich einen Weg aus dieser Zelle finden und einem Soldaten Waffe und Weste abnehmen könnte, hätte ich vielleicht eine winzige Chance, aus der Batalla-Zentrale rauszukommen. Ich habe das Gebäude schon mehrere Male von außen gesehen. Die Wände sind nicht so glatt, wie es die des Krankenhauses waren, und wenn ich es durch ein Fenster nach draußen schaffen würde, könnte ich selbst mit meinem noch nicht verheilten Bein über einen der schmalen Simse balancieren, die um das Gebäude herum verlaufen. Hier könnten die Soldaten mir nicht folgen. Sie müssten schon vom Boden oder aus der Luft auf mich schießen, aber wenn ich mit den Füßen genug Halt finde, bin ich ziemlich schnell. Dann muss ich einen Weg finden, John zu befreien. Ich glaube nicht, dass Eden noch hier im Gebäude ist, aber ich erinnere mich noch sehr gut an Junes Worte am ersten Tag meiner Gefangenschaft. »Der Gefangene in 6822.« Das muss John sein ... und ich werde ihn finden.
    Zuerst aber muss ich mir überlegen, wie ich aus dieser Zelle rauskomme.
    Ich blicke mich zu den Soldaten um, die an der Wand und rechts und links von der Tür stehen. Es sind vier. Alle tragen die Standarduniform: schwarze Stiefel, schwarzes Hemd mit silberner Knopfreihe, dunkelgraue Hose, kugelsichere Weste und eine schlichte silberne Armbinde. Jeder von ihnen trägt ein Sturmgewehr und eine zusätzliche Pistole in seinem Gürtelholster. Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren. In einem Raum wie diesem, mit vier Stahlwänden, von denen die Kugeln abprallen könnten, benutzen sie wahrscheinlich keine Bleimunition. Vielleicht Gummi, um mich, wenn nötig, vorübergehend außer Gefecht zu setzen. Oder Betäubungspatronen. Aber nichts, was mich oder sie töten könnte. Es sei denn, man schießt damit aus

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