Legenden der Traumzeit Roman
wartete ungeduldig darauf, dass seine Heimat in Sicht kam. Die sechs Jahre in England erschienen ihm bereits wie ein Traum. Dennoch war die Zeit dort zuweilen sehr langsam vergangen, und die Sehnsucht nach diesem Augenblick hatte ihn nie verlassen.
Er beobachtete zwei Frauen, die mit ihren Krinolinen über das enge Deck manövrierten, und musste grinsen, als sie mit diesen ausladenden Röcken gegen den Wind ankämpften. Die Mode in London war außergewöhnlich, und er hatte sich köstlich darüber amüsiert, wenn die Damen ihre Würde einbüßten, sobald sie versuchten, in Omnibusse zu steigen oder auf dem Lande über Zauntritte zu klettern.
Er verbeugte sich, als sie an ihm vorbeitaumelten, und war sich ihrer koketten Blicke und des Kicherns durchaus bewusst. Mit seinen achtzehn Jahren war er hoch aufgeschossen und breitschultrig, und sein Spiegel sagte ihm, dass er ganz gut aussah. Aber er hatte sich in England von Liebschaften ferngehalten, denn sein Herz war in Australien geblieben, und er wollte keine Bindungen, die ihn von dort fernhielten.
Die Briefe von Niall und seiner Mutter hatten eine Verbindung zu seiner Heimat bedeutet, und kurz nach Onkel Harrys Rückkehr nach Cornwall hatte er vom Tod seines Vaters erfahren. Er war unvermeidlich gewesen, doch das hatte weder seinen Schmerz gelindert noch die Wut darüber, dass man ihm die letzten Lebensjahre seines Vaters vorenthalten hatte. Harry war ein treuer Ratgeber gewesen, der ihm auch eine Schulter bot, an der er sich ausweinen konnte. Er hatte ihn beschäftigt und ihm die Grundlagen zur Führung des Anwesens beigebracht. Lavinia hatte ihn geliebt und getröstet wie eine Mutter, und sie würde immer einen besonderen Platz in seinem Herzen innehaben. Charlie war zu dem Bruder geworden, den er nie gehabt hatte, und sie waren in den Ferien zusammen segeln und auf die Jagd gegangen und hatten geangelt. Mit jedem Jahr waren sie sich nähergekommen.
Harry und Lavinia hatten den Besuch der Universität angeregt, doch Frederick sah keinen Sinn darin. Er plante, mit Nialls Hilfe die Zügel im Unternehmen seines Vaters in die Hand zu nehmen, und darauf konnte ihn kein Studium vorbereiten.
Das Schiff pflügte sich weiter durch die Wogen Richtung Sydney Harbour, die Segel blähten sich, und Frederick beobachtete, wie der Fleck am Horizont Form annahm. Schon konnte er hoch aufragende Klippen erkennen, enge Buchten und Hügel, Sandstrände und graugrüne Eukalyptusbäume. Sein Herz raste, als er nach dem weißen Haus hoch über der Watsons Bay suchte, und da war es – genau so, wie er es in Erinnerung hatte. Endlich war er zu Hause.
Kernow House, Watsons Bay, am selben Tag
Frederick hatte eine Kutsche gemietet, die nun über die Kiesauffahrt rumpelte. Gespannt und voller Vorfreude beugte er sich vor. Das Baumhaus wirkte viel kleiner, als er es in Erinnerung hatte, und obwohl die Bäume gewachsen und die Büsche reifer waren, wirkte Kernow House unverändert. Als er die gestrichenen Fensterläden und sauberen Veranden betrachtete, flog die Haustür auf, und Amelia, seine Mutter, lief die Treppe hinunter, um ihn willkommen zu heißen.
Frederick sprang aus der Kutsche und fing sie auf. Sie war in seinen Armen so winzig, dass er bereits fürchtete, er könnte sie erdrücken. Aber er nahm den Duft von Rosenwasser wahr, der einfach zu ihr gehörte, und spürte die Energie, die sie immer ausgestrahlt hatte.
»Wie groß du geworden bist, Freddy!«, sagte sie unter Tränen, »und wie gut du aussiehst! Ich kann nicht glauben, wie erwachsen du bist.«
»Das machen sechs Jahre wohl mit einem Jungen«, sagte er lächelnd. Er betrachtete den funkelnden Schmuck, die geröteten Wangen und das glückliche Lächeln. »Du siehst gut aus, Mama.«
»In meinen Haaren ist mehr Grau, als ich mir wünschen würde«, erwiderte sie, »aber ja, es geht mir gut, und ich bin überglücklich, dich wieder hier zu haben.« Sie nahm seine Hand und führte ihn ins Haus.
Seine Heimkehr war bittersüß gewesen, denn obwohl seine Mutter eine neue Freude am Leben entdeckt hatte und in ihrer Rolle als Witwe ganz zufrieden wirkte, fühlte er die Abwesenheit seines Vaters in jedem Winkel.
»Ich weiß, er fehlt dir, Freddy«, sagte Amelia einige Tage später, »und mir fehlt er auch. Doch zum Ende hin war er in einem ziemlich erbärmlichen Zustand, und ich weiß, er war bereit, uns zu verlassen.« Ihr Blick war stetig. »Schade, dass du nicht hier sein konntest, aber es war besser so. Du musst deinen
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