Legenden der Traumzeit Roman
brach in Tränen aus. Endlich, endlich – sie war frei.
»Jetzt halte die Tränen mal zurück, Ruby. Du kannst nichtmit roten Augen heiraten.« Niall reichte ihr ein großes Taschentuch.
»Heiraten? Heute? Jetzt?«
»Ja, deine Mum sitzt drinnen mit dem Friedensrichter und macht derweil bestimmt einen Mordswirbel um die Vorbereitungen.«
Ruby schaute zu Finn auf, unfähig, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Er ergriff ihre Hand, sie las das Glück in seinen Augen und wusste, er war ebenso überwältigt wie sie.
»Dazu haben wir keine Zeit. Nun mach schon, Mädchen, und lass Finn endlich los, damit wir uns vernünftigeren Dingen zuwenden können, zum Beispiel Wein ausladen. Ich hoffe nur, dass er auf der langen Reise nicht verdorben ist.«
Ruby küsste ihn auf die Wange, und nachdem sie Finn umarmt hatte, flog sie förmlich die Treppe hinauf und stürzte ins Haus.
Horatio Withers war mittleren Alters, untersetzt und wirkte nach der langen Fahrt und den sich überschlagenden Ereignissen ziemlich überrascht. Doch als Friedensrichter schien er mit allem spielend fertig zu werden. Er begrüßte sie mit einem Lächeln und einem festen Händedruck.
»Gut«, sagte Amy, die einen verzierten Hut und ein bauschiges Kleid trug und prächtig aussah. »Ich habe dir deine Kleider hingelegt, und Wasser zum Waschen ist auch da. Geh und richte dich her, während ich die Kinder zusammensuche.« Als Ruby zögerte, warf sie ihr einen fragenden Blick zu. »Du willst ihn doch noch heiraten, oder?«
»Natürlich.« Sie schnappte nach Luft.
Amy versetzte ihr einen leichten Schubs Richtung Schlafzimmer. »Dann beeil dich! Du hast lange genug auf diesen Tag gewartet – trödele jetzt nicht.«
Das Kleid war cremefarben und saß wie angegossen. Von den Rüschen an den Schultern bis zur eingezwängten Taille und demweiten Rock raschelte es, wenn sie ging, und als sie sich im Spiegel betrachtete, wusste sie, dass sie noch nie so schön ausgesehen hatte.
Ihre Mutter hatte Tränen in den Augen, als sie ihr die Haare kämmte und Blütenzweige in die glänzenden kastanienbraunen Locken steckte. »Deine Grandma wäre so stolz gewesen«, murmelte sie und küsste ihr die Wange.
Ruby ließ die Füße in die Satinschuhe gleiten und nahm den Blumenstrauß vom Bett. »Oh, Mum«, flüsterte sie, »ich kann nicht glauben, dass es wahr wird.«
»Ich weiß«, raunte Amy ihr zu, »aber du hast immer gesagt, du würdest Finn eines Tages heiraten, und der Tag ist endlich da. Viel Glück, mein Schatz!«
»Seid ihr denn noch nicht fertig?«, ertönte Nialls ungeduldige Stimme vor der Tür, doch als Ruby aus dem Schlafzimmer trat, war er wie vom Donner gerührt. Er breitete die Arme aus und umfing Ruby. Worte waren überflüssig, denn er wusste, wie es in ihrem Herzen aussah.
Sie lachte entzückt, als Violet ihr lilafarbenes Kleid vorführte und Nathaniel in seinem Anzug stolz eine Verbeugung andeutete. Dann hakte sie sich bei ihrem Vater unter und trat ins Freie.
Sie warteten am Fluss, wo im Schatten der Bäume eine Laube errichtet worden war. Bänder flatterten von jedem Ast. Finn stand neben Fergal und Tommy, und sein breites Lächeln verwandelte sich in ein ehrfürchtiges Staunen, als sie näher kam.
Ruby schaute zu ihm auf, als er ihre Hand ergriff. Sie war erstaunlich ruhig, denn sie war sich ihrer Sache vollkommen sicher und wusste, dass Finn dasselbe empfand. Sie hörten dem Friedensrichter zu, der zu seiner feierlichen Ansprache anhob, mit der er sie zu ihren Gelübden hinführte, und sie senkten den Blick erst, als Finn ihr den goldenen Ring ansteckte.
»Ich erkläre euch zu Mann und Frau«, sagte der Richter. »Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«
Finn nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und blickte ihr tief in die Augen. »Ich liebe dich von ganzem Herzen und werde dich lieben, bis ich sterbe.«
Sein Kuss war schmerzhaft zärtlich, und als Ruby sich in seine Umarmung schmiegte, glaubte sie Nells ausgelassenes Kichern zu hören, aber vielleicht war es auch nur der Fluss, der in seinem steinigen Bett gurgelte.
Achtzehn
Hunter Valley, Dezember 1856
J essie hatte sich an Abels Körper geschmiegt, hörte ihn atmen und wusste, dass sie hierher gehörte. Sie war noch verschlafen, ihr war angenehm warm in seiner Umarmung, und mit der kühlen Brise vor dem Morgengrauen wehte der Duft reifender Trauben und des fruchtbaren Bodens herein.
»Guten Morgen, Mrs. Cruickshank«, brummte er und küsste ihre Schulter. »Habe ich Ihnen schon
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