Legenden der Traumzeit Roman
Vater so in Erinnerung behalten, wie er war, nicht als das, was aus ihm wurde; er hätte es auch nicht ertragen, wenn du ihn in seinen letzten Monaten gesehen hättest.«
»Das hat Onkel Harry auch gesagt.« Er schaute aus dem Fenster. »Er und Tante Lavinia waren sehr gut zu mir, und ich war sehr gern in Treleaven, aber mein Zuhause ist hier, das war schon immer so.« Er lächelte. »Ich werde Papa stolz auf mich machen, obwohl ich keinen akademischen Abschluss habe, und ich hoffe, ich erweise mich seines Vermögens würdig.«
»Er war bereits stolz auf dich«, murmelte sie. »Was das Vermögen betrifft, wirst du warten müssen, bis du volljährig bist. Mr. Logan hat sich als vertrauenswürdiger Verwalter erwiesen, und du handelst richtig, wenn du dir bei ihm Rat holst.«
Über Harry wusste Frederick von ihrem anfänglichen Misstrauen gegenüber Niall. Jetzt freute er sich, dass sie ihn inzwischen akzeptierte. »Ich habe vereinbart, dass ich mich im neuen Jahr mit ihm treffe«, sagte er.
»Warum willst du so lange warten? Ich dachte, du wärst ganz versessen darauf, deine Ausbildung im Geschäftswesen anzufangen?«
»Das bin ich auch, aber Niall besucht seine Tochter.« Unruhigrutschte er auf seinem Stuhl hin und her. »Außerdem werde ich für zwei Wochen fortgehen, Mama. Ich habe da noch etwas zu erledigen.«
Sie runzelte die Stirn. »Aber du bist doch gerade erst angekommen, Freddy. Hat das nicht Zeit bis nach Weihnachten?«
»Es ist eine ziemlich heikle Angelegenheit«, erklärte er ausweichend, »deshalb möchte ich sie sofort erledigen.«
Sie strahlte. »Ist es eine junge Dame? Eine, die du an Bord kennengelernt hast?«
Er lachte. »Es hat etwas mit einer jungen Dame zu tun, aber nicht so, wie du denkst.« Er bemerkte die vertraute Gereiztheit, ließ sich aber davon nicht umstimmen. »Ich werde dir alles erzählen, sobald ich meine Aufgabe erfüllt habe – bis dahin musst du dich noch gedulden.«
Eden Valley, Dezember 1856
Ruby scheuchte die Kuh aus dem Stall und war im Begriff, sich zum Milcheimer umzudrehen, als Finn in der Tür auftauchte. »Hallo«, sagte sie leise.
Er schlang die Arme um sie und zog sie in den Schatten. »Ich brauche dringend einen Kuss«, murmelte er.
Seine Lippen waren warm und fordernd, sie schmolz in seiner Umarmung dahin, und die Welt außerhalb des Kuhstalls versank. Sie bebte vor Verlangen, vergrub die Finger in seinen Haaren und presste den schmerzenden Körper an ihn. Die Sehnsucht, bei ihm zu sein, ihn offen zu lieben und mit ihm zu schlafen, war inzwischen beinahe unerträglich geworden.
Sie lösten sich voneinander, doch sie blieb noch in seinen Armen. Sie schauten sich an. »Das Warten ist ebenso quälend wie das Verlangen«, seufzte er. »Ach, Ruby, mein Schatz, wann wirst du mir gehören?«
»Es kann nicht mehr lange dauern. Dad hat versprochen, die Sache zu beschleunigen, aber mir kommt es so vor, als würde es ewig dauern.«
»Ich wünschte –«
Sie legte einen Finger auf seine Lippen. »Ich auch«, flüsterte sie, »aber wir dürfen nicht.«
Enttäuscht aufstöhnend zog er sie an sich und küsste ihren Scheitel. »Ich verabscheue diese Heimlichtuerei. Alle wissen, wie wir fühlen – warum können wir nicht einfach zusammen sein und auf die Konvention pfeifen?«
»Weil ich alles perfekt haben möchte.« Sie kuschelte sich an ihn. »Das Warten lohnt sich, das verspreche ich dir.«
Ihr Kuss wurde von Violet unterbrochen, die mit fliegenden Locken und vor Aufregung strahlenden Augen in den Kuhstall stürmte. Schlitternd kam sie zum Stehen und verschränkte die Arme, als Ruby und Finn hastig auf Abstand gingen. Ihr hellblauer Blick war vorwurfsvoll. »Ich habe gesehen, wie ihr euch geküsst habt«, sagte sie, »und das ist sehr ungezogen.«
Ruby wurde tatsächlich rot, doch Finn lachte nur. »Küssen ist nicht ungezogen«, sagte er, »nicht, wenn man den anderen Menschen liebt.« Er zerzauste ihr Haar. »Wolltest du etwas, oder ist das hier nur ein flüchtiger Besuch, um uns zu schikanieren?«
Sie kicherte und zog an ihren Händen. »Grandpa ist gekommen. Er hat mir gesagt, ich soll euch holen.«
Ruby schaute Finn an und fand dieselbe Hoffnung in seinen Augen, die auch sie erfüllte. Sie eilten hinaus. »Dad«, rief sie schon von weitem, »bringst du gute Nachrichten mit?«
Niall umarmte sie mit breitem Grinsen, seine Augen strahlten vor Lachen. »Ja, ja«, sagte er, »und ich habe die Papiere, die es beweisen.«
Ruby überflog das Dokument und
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