Legenden der Traumzeit Roman
Wäscherei für die Strafgefangenen war immer da drüben, und öffentliche Auspeitschungen und streitende Eingeborene waren ein normaler Anblick. Aber sieh dir diese neuen Häuser an, die Parks und Gärten, die schicken Läden und die bunten Markisen. Die alte Stadt wirkt endlich seriös.«
»Du liebst sie, nicht wahr?«
Er nickte. »Ich denke schon. Immerhin bin ich hier geboren und aufgewachsen. Die unglücklichen Zeiten hatten wenig mit dem Ort zu tun, und ich habe meine Zuneigung nie verloren.«
»Nichts geht über die Heimat«, flüsterte Lavinia.
Harry wusste, dass sie Heimweh nach Cornwall und den beiden Töchtern hatte, die notgedrungen bei Lavinias Schwester geblieben waren. Keine von beiden war kräftig, und man hatte ihnen davon abgeraten, sie auf diese weite Reise mitzunehmen. »Ich weiß noch, dass mein Stiefvater George mir vor vielen Jahren gesagt hat, man solle jede Reise als ein Abenteuer betrachten«, erwiderte er. »Australien unterscheidet sich in so vielen Dingen von England, dass man die beiden Länder nicht vergleichen kann, also bilde dir erst ein Urteil, wenn du über den Hafen hier hinaus geschaut hast.«
»Mama! Ich habe mein erstes Känguru gesehen. Guck mal, da drüben!«
Harry schaute auf die Grasfläche, die fast bis zum Ufer abfiel, und zersauste seinem Sohn die Haare, wobei er pflichtgemäß das Känguru bewunderte. Charlie George Cadwallader war ein Nachzügler, den sie erst in mittleren Jahren bekommen hatten, und nach dem Onkel benannt, den er nie kennenlernen würde. Der Erbe des Hauses Kernow in Cornwall hatte die hellen Haare und die blauen Augen seiner Mutter und strahlte eine Begeisterung aus, zu der nur ein dreizehnjähriger Junge fähig war.
»Ich habe das Gefühl, dass du Australien höchst anregend finden wirst«, sagte Harry schmunzelnd.
»Ich kann es kaum erwarten, alle kennenzulernen, das Haus am Ufer zu sehen und alles zu erforschen. Meinst du, Freddy kommt mit seinen Eltern, um uns zu begrüßen?«
»Nach den Kalmen sind wir gut vorangekommen und laufen pünktlich ein«, antwortete er. »Ich hoffe doch sehr, dass Oliver und seine Familie auf uns warten, denn ich habe einen Brief aus Kapstadt geschickt, und wie ich sehe, ist das Schiff, das ihn mitgenommen hat, bereits im Hafen.«
Sie drehten sich um und beobachteten, wie Taue an Land flogen und Matrosen in die Takelage kletterten, um die Segel einzuholen. Dann wurde der Anker ausgeworfen. Harry betrachtete die ansehnliche Menschenmenge, die sich am Anleger versammelt hatte, sah die Kutschen, die Menge von Zylindern und bunt geschmückten Hauben sowie die Qualität der gezüchteten Pferde. New South Wales entwickelte sich rasch zu einer wohlhabenden Kolonie, und er beneidete Oliver um das Glück, bei dieser Expansion an vorderster Stelle teilzuhaben.
Das Leben in Cornwall war nach der Industriellen Revolution nicht leicht gewesen, und er trug einen ständigen Kampf aus, um die Farmen und Minen mit Arbeitskräften zu versorgen, da die Arbeiter in den Fabriken und Mühlen immer höhere Löhne forderten. Die Bürde seines ungewollten Titels und seines Erbes lastete dennoch schwer auf ihm, ebenso wie die Schulden, die sein Vater und sein Großvater hinterlassen hatten. Obwohl Harry unermüdlich daran gearbeitet hatte, die Ehre des Familiennamens sowie die Solvenz wieder herzustellen, hatte er nie aufgehört, sich nach der Freiheit zu sehnen, nach eigenem Gutdünken handeln zu können.
»Harry!«
Die donnernde Stimme erhob sich über dem aufgeregten Geschwätz, und Harrys finstere Gedanken wurden durch den Anblick der stattlichen Gestalt am Kai zerstreut. Für ihn war es ein Schock, seinen jüngeren Bruder so gealtert zu sehen – waren das wirklich graue Strähnen in seinem Haar? Harry grinste und winkte. Zweifellos dachte Oliver dasselbe über ihn, denn die vergangenen Jahre hatten von beiden ihren Tribut gefordert. Mit Frau und Sohn im Schlepptau schloss Harry sich dem allgemeinen Strom an, der von Bord ging.
»Willkommen daheim!«, rief Oliver und schob sich durch das Gedränge.
Harry umarmte seinen Bruder. »Gut, dich wiederzusehen!«, sagte er, als sie sich voneinander lösten. »Mein Gott, Ollie, du hast Winterspeck angesetzt! Aber du wirkst auf jeden Fall gut betucht.«
Oliver grinste einfältig und zupfte an seiner bunten Weste. »Das gute Leben, Harry. Mir fehlt die Bewegung, seit ich im Büro festhänge.« Seine braunen Augen musterten den älteren Bruder. »Du dagegen scheinst ziemlich
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