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Legenden der Traumzeit Roman

Legenden der Traumzeit Roman

Titel: Legenden der Traumzeit Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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werden.

Zwei
    Sydney Harbour, Oktober 1849
    H arry Cadwallader, Earl of Kernow, stand an Deck der Elizabeth Ann und wartete neugierig auf seinen ersten Blick auf Sydney Town seit dreißig Jahren. So hatte er sich die Heimkehr immer ersehnt, doch jetzt, als das Schiff langsam den Hafen ansteuerte, stellte er fest, dass seine Aufregung mit Unbehagen durchsetzt war. Erinnerungen überfielen ihn – dunkle Erinnerungen, die er verdrängt, aber nie wirklich vergessen hatte: an seine geliebte Mutter und seinen Stiefvater, die ihn nicht willkommen heißen würden, denn Eloise und George Collinson waren vor einigen Jahren auf einer Seereise nach Amerika verschollen, wo sie ihre lange, glückliche Ehe feiern wollten. Er seufzte tief. So viel Schmerz empfand er, den er größtenteils nicht heilen konnte.
    »Du siehst bekümmert aus, mein Lieber«, sagte eine leise Stimme an seiner Schulter. »Ich dachte, du wärst überglücklich, Sydney wiederzusehen.«
    Entschlossen schob Harry die düsteren Gedanken beiseite und lächelte auf seine Frau herab. Lavinia war mit neunundvierzig noch immer eine Schönheit. Mit ihrem hellen Haar und den blauen Augen, der milchig weißen Haut und der schmucken Figur hatte er sich in dem Augenblick in sie verliebt, als ihre Blicke sich quer durch den Ballsaal trafen. Er liebte sie noch immer mit einer tiefen, beständigen Leidenschaft, die trotz der Jahre, die vergangen waren, nie nachgelassen hatte. »Du siehst wunderbar aus«, murmelte er und nahm die hübsche Haube, die Locken, die ihr Gesicht rahmten, und das hellblaue Kleid in sich auf.
    Sie lächelte, aber ihre ausdrucksstarken Augen blieben besorgt. »Du hast meine Frage nicht beantwortet, Harry. Was bereitet dir Kummer?«
    »Erinnerungen«, antwortete er mürrisch und schaute wie gebannt ans Ufer.
    »Die Vergangenheit wird uns nie loslassen«, erwiderte sie, »ganz gleich, wo wir sind, aber wichtig ist die Art und Weise, wie wir damit umgehen. Und bisher hat sie unser Fortkommen nicht behindert.«
    Harry drückte ihre Hand. Auch wenn sie die Vergangenheit seiner Familie kannte, konnte sie wirklich begreifen, was diese Rückkehr für ihn bedeutete – welche Erinnerungen damit wachgerufen wurden? Heimzukehren in ein Land, das Erinnerungen an den Wahnsinn seines Vaters Edward barg, an die Ermordung seines älteren Bruders Charles und an das gebrochene Herz seiner Mutter, war schwerer, als er erwartet hatte. Dennoch glomm ein Funke Hoffnung in ihm auf, während er über die Stadt schaute, die sich am Hafen entlang und bis in die Berge erstreckte. Die Veränderung in Sydney war verblüffend, und in dieser Veränderung lag die Chance, die dunkle Vergangenheit beiseitezulegen und nur das Gute im Gedächtnis zu behalten.
    »Doch, ich verstehe dich gut«, sagte sie ruhig.
    Er blickte in ihre blauen Augen und stellte fest, dass es stimmte. Er hielt ihre Hand, und sie verfielen in die stille, tröstliche Nähe, die ihnen in ihrer Ehe immer Kraft geschenkt hatte.
    Der leichte Regen hatte aufgehört, und die Sonne strahlte am wolkenlosen Himmel. Die Küste war immer deutlicher zu sehen, eine Flotte kleiner Boote geleitete sie zur Stadt, und Harry nahm die Aromen seiner Kindheit in sich auf. Der vertraute, beinahe vergessene Geruch von warmer, feuchter Erde, vermischt mit dem der Kiefern und des Eukalyptus, der durchdringende Ton von frisch geschlagenem Holz und der köstliche Duft von gebackenem Brot und gemähtem Gras wehte mit der leichten Briseherüber. Sie erreichten das Ufer. Er hörte die Rufe von Matrosen, die Schreie der Möwen und das Geschnatter von Rosenkakadus, sah die schönen Gebäude, die seit seiner Abreise emporgeschossen waren, und die Reihe der Lagerhäuser am Kai, die der Handel beträchtlich verlängert hatte.
    »Nicht ganz das, was ich erwartet habe«, sagte Lavinia und öffnete ihren Sonnenschirm gegen die brennende Sonne. »Aber natürlich sind die Hafenanlagen in jeder Stadt eine ziemlich raue Gegend, also sollte man nicht vorschnell urteilen.« Sie tupfte ihr Gesicht mit einem Spitzentaschentuch ab, doch ihre strahlende Miene konnte die Besorgnis nicht übertünchen, mit der sie beobachtete, wie aneinandergekettete Sträflinge ein benachbartes Schiff entluden.
    »Wenn du meinst, das sei rau, dann hättest du es in den Anfängen sehen sollen. Ich weiß noch, als die Straßen eine Gefahr für Leib und Leben waren, dunkle, schmale Gassen voller Bruchbuden, die in jede verfügbare, dreckige Ecke gequetscht wurden. Die alte

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