Legionen des Todes: Roman
heran. »Das war nicht deine Schuld. So was darfst du gar nicht denken. Natürlich macht es mir ganz schön zu schaffen, aber weißt du was? Immerhin lebe ich noch. Zumindest in der Hinsicht hab ich mehr Glück gehabt als die meisten anderen. Ich hab das nicht immer so gesehen. Selbstmitleid ist eine schöne Sache, und ich habe mich lange genug darin gewälzt, das kannst du mir glauben. Aber letztendlich ist alles, was zählt, dass ich noch am Leben bin. Und solange ich noch lebe, kann ich was dazu beitragen, dass du und die anderen auch am Leben bleiben.«
Jake schniefte. »Der Mann hat dir die Augen rausgeschnitten, weil du so getan hast, als wärst du ich. Und du hast gewusst, dass sie dich wahrscheinlich umbringen werden, und trotzdem hast du’s getan. Nur, damit sie mir nicht wehtun.«
»Jeder hätte das für dich getan. Wir sitzen hier alle im selben Boot, oder?«
»Nein. Richard und die anderen wollten mich für sich haben. Ich kann etwas, das sie nicht können.«
»Und was ist das?«
»Ich kann träumen.«
»Jeder hat Träume.«
»Aber in meinen sehe ich die Zukunft. Das ist meine übernatürliche Fähigkeit.«
»Dann erzähl mir, was jetzt als Nächstes passieren wird.«
»Wie wär’s, wenn ich es dir einfach zeige?«, fragte Jake, stand auf und stellte sich hinter Ray. Er nahm Rays Kopf zwischen seine Hände und legte seine Mittelfinger auf Rays Schläfen.
»Weißt du, kleiner Mann, das mit dem Zeigen könnte schwierig werden …«
Die Dunkelheit um ihn herum wurde ein Stückchen heller. Ray konnte das Feuer vor sich erkennen, zwar nicht als flackerndes Farbspiel aus Orange- und Goldtönen, aber immerhin als hellen Fleck vor einem dunkleren Grau. Das Zentrum der Flammen leuchtete sogar ein wenig und verdunkelte sich nach außen zu den Spitzen der züngelnden Flammen.
Ray keuchte und drehte den Kopf weg, aber Jake ließ nicht los. Er konnte zwei menschliche Umrisse erkennen, Kopf und Mitte des Brustkorbs etwas heller als der Rest ihres Körpers, der über die Gliedmaßen bis zu den Fingern und Zehen immer dunkler wurde. Dann sah er noch weitere Umrisse vor dem schwarzen Hintergrund, das Pueblo an der Rückseite der Höhle, die Tropfsteine, die von der Decke hingen und Wasser auf ihre Geschwister am Boden tropfen ließen. Es war ein vollkommen anderes Bild als das normale Sehen, das er gewohnt war. Sehen war ein unmittelbarer Prozess: Sein Blick fiel auf etwas, und sofort war es da. Dies hier war eher wie das Wärmebild eines Nachtsichtgeräts. Es war bei weitem nicht so wundervoll wie das normale Sehen, das er ein Leben lang für so selbstverständlich gehalten hatte, aber es war weit mehr, als er jemals für möglich gehalten hätte.
Es war so einsam und kalt in der Dunkelheit. Selbst inmitten der anderen fühlte er sich vollkommen isoliert und allein. In der Höhle herrschte eine eigenartige Akustik, ständig wurden Echos von irgendwo zurückgeworfen, sodass die Worte stets so klangen, als kämen sie aus einer vollkommen anderen Richtung, selbst wenn er seinen Kopf in die Richtung der Person drehte, mit der er sich unterhielt. Immer öfter dachte er daran, wie er wohl aussehen musste, aber noch viel schlimmer war, wie er sich bewegte: Er lief gegen Wände, stolperte über die kleinsten Unebenheiten im Boden, brauchte jemanden, der ihm die richtige Richtung zeigte, machte sich jedes Mal Sorgen, dass er seine Notdurft irgendwo verrichtete, wo alle ihn sehen konnten, oder, schlimmer noch, etwas Wertvolles unter seinen Exkrementen begrub. Zwar wusste er, dass es nicht stimmte, hatte aber trotzdem das Gefühl, als würden die anderen seine Anwesenheit lediglich tolerieren. Er konnte nicht einmal etwas herumtragen, denn er hatte Angst, er könnte stolpern und es dabei kaputt machen. Er hatte versucht, eine Mahlzeit zu kochen, aber der Großteil des Seetangs war dabei in die Flammen statt in den Topf gewandert. Alles, wofür er sich noch geeignet fühlte, war, vor dem Feuer zu sitzen und neues Brennmaterial hineinzuwerfen, sobald er das Gefühl hatte, dass es ein Stück weit heruntergebrannt war. Aber jetzt, da er wieder etwas sehen konnte, könnte auch er etwas beitragen, er könnte …
Jake zog seine Hände weg, und die Grautöne vor Rays Augen wurden wieder zu einem undurchdringlichen Schwarz. Allesverschlingende Dunkelheit schloss ihn in ihre Arme.
»Bitte«, stammelte Ray. »Mach das nochmal …«
»Das kann ich nicht«, erwiderte Jake. »Den Rest musst du selber machen.«
Rays leere
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