Lehmann, Sebastian
No-Name-Produkte ausgeschenkt werden, sozusagen als konsumistische Kritik am überhandnehmenden Markenwahn.« Er zeigt die Straße hinunter.
»Eine ausgezeichnete Idee!«
Habe ich das gerade wirklich gesagt? Eine ausgezeichnete Idee? Wie klingt das denn? Als wäre ich kein einunddreißigjähriger Tiergarten-Bewohner, sondern ein einundachtzigjähriger Deutsches-Theater-Abonnent. Egal, Hauptsache, wir gehen zusammen irgendwohin. Dr. Alban trägt heuteübrigens einen Stoffbeutel mit der Aufschrift: »It’s my life.« Er sieht trotzdem intelligent und fotogen aus.
Die Bar befindet sich allerdings nicht gerade in nächster Nähe. Auf dem Weg laufen wir an etwa zweiunddreißig Cafés und Kneipen vorbei, bis wir endlich an besagter No-Name-Bar ankommen. Sie sieht genauso aus wie alle anderen Bars auch. Wir gehen rein, setzen uns an eines der schiefen Sperrmülltischchen und trinken jeder eine Club Mate, von der vorher irgendjemand fein säuberlich die Etiketten abgepult hat.
Ich sacke in mich zusammen. Jetzt sitze ich also hier und muss etwas Schlaues sagen, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Dr. Alban über irgendwelche Belanglosigkeiten redet. Und dann, wenn er mich nett und interessant findet und vor allem auch total intelligent, kann ich ihn vorsichtig auf Christina ansprechen. So sieht der Plan aus.
»Kennst du Christina gut?«, frage ich.
Völlig unbeeindruckt von meiner überbordenden Leidenschaft nimmt Dr. Alban seine riesige Brille von der Nase und putzt sie vorsichtig mit Hilfe seines Rundschals. Irgendwie sieht die Brille so aus, als würde sie nur aus Fensterglas bestehen. Ich nehme einen Schluck von meiner No-Name-Mate und sacke noch ein wenig mehr in mich zusammen. Dieser Dr.-Alban-Typ entzieht mir jegliche Energie.
»Wie es der Zufall will, sind Christina und ich Mitbewohner.«
Langsam gewinne ich Gefallen an diesen ganzen Zufällen.
»Ich habe gestern natürlich sofort registriert, dass bei euch gewisse Spannungen und Sympathien entstandensind. Du brauchst mir also nichts weiter zu erklären, Marky. Ich denke, ein erneutes Treffen ist machbar, trotzdem …« Er hält kurz inne und setzt sich seine Brille wieder auf, anscheinend gefällt er sich in der Rolle des Unterhalters. »Trotzdem würde ich es sehr zu schätzen wissen, wenn du mir einige Informationen über dich mitteilen würdest.«
Also doch der Beschützer.
»Was willst du wissen?« Ich muss theatralisch gähnen. Dieses Mate-Zeugs macht mich schon lange nicht mehr wach, langsam brauche ich härtere Sachen.
»Mir ist dein unbedruckter Stoffbeutel aufgefallen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Woher kommt das?«
Ich stutze. »Ich dachte, du fragst mich, was ich beruflich mache, wie viel Geld ich verdiene und ob ich immer pünktlich die Beiträge für die Krankenkasse überweise oder so?«
»Ja, okay.« Dr. Alban lässt sich in seinen Sperrmüllsessel sinken. »Was machst du beruflich?« Dabei betont er das Wort »beruflich« so komisch, als sei ihm diese Konversation höchst zuwider.
»Ich bin Journalist«, sage ich bedeutungsschwanger. Das wird ihn, diesen wahrscheinlich arbeitslosen Pseudo-Intellektuellen, gehörig beeindrucken. Doch Dr. Alban verharrt mit abwesendem Gesichtsausdruck in seinem Sessel und scheint an etwas vollkommen anderes zu denken. Diese jungen Leute von heute – eine Aufmerksamkeitsspanne von einer SMS. Eigentlich bin ich ganz froh, dass er nicht genauer nachfragt, sonst müsste ich ihm erzählen, was für ein »Journalist« ich bin. Ich arbeite nämlich für ein Berliner Stadtmagazin. Bis dahin eigentlich noch ganz in Ordnung. Allerdings besteht mein Aufgabenfeld nicht in erster Linie darin, über coole Konzerte, krasse Partys und sexy Promiszu berichten – und auch nicht in zweiter oder dritter. Sondern, wenn ich ehrlich bin, in gar keiner Linie. Ich betreue nämlich die Kleinanzeigen im hinteren Heftteil. Also zum Beispiel die Rubrik: »Sie sucht Ihn.« Oder: »Er sucht Sie.« Oder: »Er sucht so ziemlich alles, Hauptsache, man kann Sex damit haben.« Ja, it’s my life.
»Weißt du, worüber ich gerade nachgedacht habe?«, fragt Dr. Alban und rutscht nervös auf seinem kaputten Sessel herum. »Mir ist aufgefallen, dass diese Post-Elektroclash-Bands der mittleren nuller Jahre wie zum Beispiel das ewig unterschätzte Elektroprojekt Die Stereotypen oder das Turban-tragende Inderkollektiv Sikhs on Speed als Blaupause für diese neuen Berliner Shoegaze-Techno-Gruppen dienen.« Dr.
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