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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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Einfachste«, sage ich und sehe den beiden Kindern nach, die sonnenbebrillt vom Ray-Ban-Stand davonlaufen, obwohl die Sonne heute bestimmt nicht mehr scheinen wird. »Einfach der Stadt die Schuld geben, wenn das Leben nicht mehr vorangeht, und nach Brooklyn oder Bangkok auswandern und eine Ausbildung zum Aikido-Priester machen.«
    »So schlimm ist es ja noch nicht. Aber wo wollt ihr wohnen? Zieht ihr dann gleich zusammen, oder was?« Kurt runzelt die Stirn.
    »Wir kommen erst mal bei Christinas Eltern unter, denen gehört eine riesige Villa direkt am Bodensee, und sie sind wohl selten zu Hause.«
    Hoffentlich gibt es diese Villa wirklich. Und hoffentlich gibt es Christinas Eltern wirklich. Ein blöder Gedanke, aber ich bekomme diese Klonsache einfach nicht aus dem Kopf, obwohl wir die ganze Woche über nichts mehr entdeckt haben, was meine nächtlichen Erlebnisse wenigstens ein wenig plausibler gemacht hätte. Wir sind in Neukölln nicht einmal irgendwelchen Kapuzenpullijugendlichen begegnet; ebenso wie ihr Klonlabor sind auch sie einfach von der Bildfläche verschwunden. Aber es gibt auch so genug Probleme und Unsicherheiten in meinem Leben. Ich schauewieder zu Kurt, der gedankenverloren den Kinderwagen auf und ab wippt.
    »Weißt du, ich habe immer versucht, nichts falsch zu machen und die Codes richtig zu bedienen«, sage ich. »Ich hatte furchtbare Angst, etwas nicht mitzubekommen. Den Vorsprung zu verlieren.«
    Kurt nickt nur, natürlich weiß er das. Wenn er das nicht wüsste, wer wüsste es dann? Ich sicher nicht.
    »Und jetzt habe ich genug davon. Ich bin einunddreißig, ich kann doch nicht mein ganzes Leben lang versuchen, cool zu sein. Vor allem wenn solche Kids wie Dr. Alban nachwachsen, von Anfang an alles durchschauen und dabei auch noch total nett sind.«
    Kurt windet sich auf der Bank, und ich merke sofort, dass er etwas Wichtiges sagen will, das ihm aber unangenehm ist.
    »Es ist sogar noch einfacher«, sagt er dann. »Warum denkst du, dass die Stereotypen wieder gehört werden, gerade von den jungen Hipstern? Weil das eben gut war damals, weil das schon alles halbwegs richtig war, was du gemacht hast – auch wenn du das nicht glaubst.«
    »Vor allem glaub ich nicht, was du da gerade gesagt hast«, rufe ich. »Seit wann findest du denn die Stereotypen gut?«
    »Darum geht es doch gar nicht«, sagt Kurt ungeduldig. »Du weißt, dass ich ausschließlich Musik höre, die mindestens zwanzig Jahre alt ist. Aber du findest die Stereotypen gut. Und dazu könntest du mal stehen. Schließlich kannst du nicht so falschgelegen haben, wenn Christina, Dr. Alban und die ganzen Neukölln-Hipster das jetzt auch so gut finden. Meine Scheiße, dass ich so was mal sage! Ich komm mir unendlich alt vor.«
    Wahrscheinlich kenne ich Kurt doch nicht so in- und auswendig, wie ich dachte. Aber vielleicht finden jetzt alle die Stereotypen auch nur gut, weil sie es so eingetrichtert bekommen haben? Weil sie den Hipster-Kanon perfekt verinnerlicht haben? Diese Bedenken offenbare ich Kurt allerdings lieber nicht.
    »Du meinst, ich sollte es wirklich noch einmal mit der Musik versuchen? Und nicht immer nur an die Sicherheit denken, sondern anfangen, mich – Entschuldigung, dass ich das jetzt sage – selbst zu selbstverwirklichen?«
    »Ich könnte gleich kotzen, Selbstverwirklichung ist das bescheuertste Versprechen der Werbung – ›benutze dieses Deo und werde du selbst‹.« Kurt springt kurz auf, um sich gleich wieder hinzusetzen. »Da musst du erst mal definieren, was das ›Selbst‹ überhaupt ist, du hast schließlich nicht umsonst dein halbes Leben lang Philosophie studiert.«
    »Vielleicht doch.« Ich muss lachen. Zum ersten Mal heute. »Auf jeden Fall ist mir bis jetzt noch nicht der Gedanke gekommen: So, ich mach was mit meinem Philosophiestudium – philosophieren, Philosoph sein, eine Doktorarbeit schreiben, Professor werden.«
    Kurt blickt in den Kinderwagen. War da gerade ein Geräusch zu hören? Zu langer Kinderwagen-Stillstand wahrscheinlich.
    »Ich hoffe, eure Berlin-Flucht hat nichts mit dieser bescheuerten Klonsache zu tun?« Kurt hebt misstrauisch eine Augenbraue.
    Ich schüttle den Kopf. Bringt jetzt auch nichts mehr, mit ihm darüber zu diskutieren.
    »Na dann«, sagt er und steht auf. Aus dem Kinderwagenkommen inzwischen tatsächlich Laute, die entfernt an Weinen erinnern, nur viel niedlicher klingen. »Wir müssen nach Hause.«
    »Vielleicht will ich ja bald auch so was.« Ich lache und deute auf das

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