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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orth
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Höllinger bohrte noch eine Weile nach, ehe er merkte, dass aus mir nichts
    herauszubekommen war. Bevor er mich entließ, zog er noch einen Zettel aus der Tasche und sagte, also gut, Kranich, schießen Sie los: Bernd Bade, 9a? Ich sagte, drei. Er fragte, Tina Willems, 10d? Ich sagte, zwei. Er fragte, Alexander Schneider, 8a? Ich sagte, vier. Er fragte, Höllinger Horst, 10d?
    Ich schrie, eins!

    15

    Draußen, ich hatte gerade tief durchgeschnauft, traf mich ein Blick von Frau Klüting. Das Verhör beim Direktor hatte mein schlechtes Gewissen angeregt, sodass ich mich entschloss, reinen Tisch zu machen. Ich trat zu Frau Klüting und sagte: Frau Klüting, ich wollte mich entschuldigen für mein gestriges Fehlen bei der Fachkonferenz. Ach ja? fragte Klüting. Ich habe es, sagte ich… vergessen. Frau Klüting antwortete in mildem Tonfall, das mache doch nichts, das sei nicht der Rede Wert, im Gegenteil, sie, das heiße eigentlich ihr Mann, habe sich bei mir für mein Fehlen zu bedanken. Ich stutzte. Wofür? fragte ich. Für das Fahrrad, sagte Frau Klüting. Ich verstand kein Wort von dem, was sie sagte, war aber erleichtert, dass dieser Kelch offenbar an mir vorübergegangen war. Ich wollte mich schon verdrücken, aus Angst, sie könnte es sich noch anders überlegen, doch Frau Klüting hielt mich zurück und sagte, aber, aber, Kranich, wollen Sie gar nicht wissen, für welches Lehrwerk wir uns entschieden haben? Ich hoffe doch G2000, sagte ich. Alle anwesenden Fachlehrer, sagte Klüting, hätten bei der geheimen Abstimmung selbstverständlich für G2000
    von Cornelsen gestimmt, die Gründe würden ja für alle
    erkennbar auf der Hand liegen. Aber gerade in dem
    Augenblick, in dem sie das Abstimmungsergebnis ins
    Protokoll habe eintragen wollen, sei plötzlich die Tür aufgestoßen worden. Hier machte sie eine Pause. Jemand sei ins Fachkonferenzbesprechungszimmer gestürmt. Wer? fragte ich. Frösche, sagte sie, fünf Stück. Frösche? fragte ich. Klett-Vertreter, sagte Klüting, in Grün. Sie seien in die
    Fachkonferenz geplatzt, und ihr Wortführer habe die
    Fachlehrer beschworen, doch bei Klett zu bleiben. In keinem anderen Schulbuchverlag, habe der Wortführer der Frösche gesagt, werde so viel Wert auf Anschauung gelegt wie in den Klett-Büchern. Und ihnen, den Fachlehrern, bräuchte er nicht darzulegen, wie elementar die Anschauung für den Unterricht sei. Kinder, habe der Wortführer doziert, würden nur dann etwas lernen, wenn sie die Dinge greifbar und anschaulich vor sich sähen. Eine Vokabeleinführung könne nur dann gelingen, wenn man das neue, unbekannte Wort durch einen zum Wort passenden Gegenstand oder durch eine zur Tätigkeit passende Handlung semantisiere. Verbalisierung? habe der Klett-Mann gesagt, bringe nichts. Antonyme? Nutzlos. Anschauung heiße das Zauberwort. Er, der Wortführer, sei einmal, Jahre zuvor, Zeuge einer denkwürdigen Unterrichtsstunde geworden, die seine Meinung aufs Trefflichste bestätigt habe. Damals, habe der Wortführer zu erzählen begonnen, damals sei er noch kein Frosch, sondern vielmehr bei den Weißen beschäftigt gewesen und habe an einem kalten Januartag eine Prüfungslehrprobe im Fach Englisch abhalten müssen. Der an diesem Tag auf dem Prüfstand stehende Referendar habe merkwürdigerweise nicht die gewöhnlichen Nervositätszustände seiner Kollegen gezeigt, er sei nicht etwa kreidebleich im Lehrerzimmer auf- und abgetigert und beinah zusammengebrochen, als die beiden Prüfer, also er, der damalige Prüfungsvorsitzende, sowie der Fachleiter des Referendars, erschienen seien. Der Referendar sei ganz ruhig dagesessen, siegesgewiss, er habe Kaffee getrunken und sich nicht am Erscheinen seiner Prüfer gestört.
    Er sei kurz vorm Läuten aufgestanden, habe seine Tasche genommen und sei ruhig in die Klasse gegangen, gefolgt von den Prüfern. Es sei eine siebte Klasse gewesen, Thema der Stunde: Gewalt, Wortfelderarbeitung. Die Stunde habe recht schleppend begonnen. Der Referendar habe auf die missliche Lage der Referendare im Allgemeinen hingewiesen, auf die enorme Konkurrenzsituation, die untereinander herrsche, habe dann plötzlich gesagt, dass seine Chancen auf eine Einstellung im Schuldienst erheblich stiegen, wenn er seine Konkurrenten aus dem Weg räumen würde. Dann habe er eine Pistole aus der Tasche gezogen. Schlagartig sei die Aufmerksamkeit der Schüler gestiegen. Der Referendar sei zum Wandschrank
    gegangen, habe diesen geöffnet, habe einen gefesselten und

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