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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orth
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dazu über den Direktor, nieder mit dem Maulwurf. Der Direktor hob die Hand, und augenblicklich trat Stille ein. Ein Maulwurf, wiederholte Höllinger, hier, bei uns, im Kollegium. Jemand, der das, was hier, im Kollegium, gesagt wird, nach außen trägt, und nicht nur nach außen, nein, an den äußersten Rand überhaupt, ans KNOGY. Höllinger machte eine Pause. Dann sagte er, er gebe dem Maulwurf von jetzt an genau sieben Minuten Zeit, sich zu melden. Bis zum Klingelzeichen. Falls der Maulwurf sich nach Ablauf dieser Zeit nicht gemeldet habe, müsse er, Höllinger, weiterreichende Konsequenzen in die Wege leiten. Stille. Der Direktor setzte sich und streckte siegesgewiss die Füße aus. Sein Blick fiel auf Josef Jensen, der aber dachte nicht daran, auch nur durch ein Zucken zu verraten, dass er – davon war ich felsenfest überzeugt – der Schuldige war. Nein, Jensen streckte ebenfalls seine Füße aus und lehnte sich zurück, sodass Höllinger nach einer Weile Renner fixierte. Der war sich keiner Schuld bewusst und lächelte selig. Höllinger sah mich an, aber nur kurz, ich schien für ihn nicht in Frage zu kommen. Scharinger, Kleible, Linnemann, nach und nach wanderte sein Blick über die Gesichter der Lehrer, niemand meldete sich. Die Zeit verstrich. Höllinger sah immer häufiger auf seine Uhr, zupfte sich am Ohr. Als es klingelte, wurde er blass, beugte sich dann zu Bassel, redete kurz mit ihm, nickte, sah wieder in die Runde. Seine Stimme klang nicht mehr so sicher wie zu
    Beginn, als er sagte, er habe soeben im kleinen
    Führungsgremium beschlossen, die Schüler für den Rest des Tages vom Unterricht zu dispensieren. Bevor wieder an einen geregelten Unterricht gedacht werden könne, müsse der
    Maulwurf enttarnt sein. Bassel war inzwischen aufgesprungen und aus dem Lehrerzimmer verschwunden. Höllinger sagte: Wir bleiben so lange hier, bis sich der Schuldige gemeldet hat.
    Damit setzte er sich wieder. Immer noch regte sich nichts im Kollegium. Bassel kam zurück mit einem Stoß Blätter unter dem Arm, die er ans Anschlagbrett heftete. Von meinem
    Standpunkt aus konnte ich sehen, was in dicken Lettern auf den Zetteln stand: Klasse 5a – entfällt ab dritter Stunde, Klasse 5b – entfällt ab dritter Stunde, Klasse 5c – entfällt ab dritter Stunde – und so weiter bis zu den einzelnen Kursen der 12 und 13. Höllinger spielte unruhig mit seinem Bleistift. Bassel setzte sich wieder neben ihn, schnaufte und lockerte seinen
    Krawattenknoten. Die Zeit verging. Keiner rührte sich. Alle starrten still vor sich hin oder verdachtsvoll auf irgendwelche Kollegen. Nach einer halben Stunde änderte Höllinger seine Taktik. Also gut, sagte er, er wolle dem Täter einen Schritt entgegenkommen. Vielleicht sei es die öffentliche Beichte, vor welcher der Maulwurf zurückschrecke. Er, Höllinger, habe daher soeben im kleinen Führungsgremium – der Direktor blickte kurz zu Bassel, der eifrig nickte – beschlossen, jeden Lehrer einzeln zu verhören. Zu diesem Zweck wolle er sich nun in die Lehrerbibliothek begeben. Wir, die Lehrer, hätten einzeln in alphabetischer Reihenfolge zu ihm zu kommen, und zwar alle. Damit zog er sich in die Lehrerbibliothek zurück und schloss die Tür. Bassel kopierte eine Lehrerliste, brachte ein Exemplar zu Höllinger, stellte sich mit dem anderen an die Tür zur Bibliothek und rief die Lehrer einzeln auf. Ammei, begann er. Ich war es nicht, schrie Frau Ammei, ich war es nicht! Das müssen Sie dem Direktor sagen, meinte Bassel und schob sie durch die Tür. Als ich an die Reihe kam, war ich mir meiner Unschuld sicher und trat in eine vollkommen
    verdunkelte Bibliothek, der Direktor hatte nicht nur die Rollos hinabgelassen, sondern auch die Vorhänge zugezogen. Ich stand reglos da und fragte, wo sind Sie? Da ging eine
    Schreibtischlampe an, keine zwei Schritte von mir entfernt.
    Setzen, sagte Höllinger. Ich setzte mich. Es hat keinen Sinn zu leugnen, sagte Höllinger, ich weiß alles. Aber was denn? fragte ich gegen das Licht. Sie waren es, sagte Höllinger, Jensen hat gestanden. Jensen? fragte ich. Jensen, sagte Höllinger, hat ein ausführliches Geständnis abgelegt, er hat alles erzählt über das Treffen im Ratskeller, über die KG, na kommen Sie schon, gestehen Sie. Nein, sagte ich, ich bin unschuldig, es ist vielmehr dieser Jensen, der, der… Ja? horchte Höllinger auf…
    der Ihnen da etwas Falsches erzählt hat, sagte ich und hatte das Gefühl, einer Falle entronnen zu sein.

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