Lehrerzimmer
sagte er. Ich verließ das Lehrerzimmer, ging zur ersten Sekretärin und sagte ihr, ich bräuchte einen Lehrerleihausweis für die Lehrerbibliothek. Sie antwortete mir, das sei kein Problem, sie würde ihn mir erstellen, ich könne ihn morgen abholen. Ich bräuchte ihn aber jetzt gleich , sagte ich. Nicht so hektisch, sagte die erste Sekretärin, alles habe seine Zeit, das Überprüfen der Daten, das Ausdrucken, das Zusammenkleben und Laminieren, das könne sie nicht vor morgen schaffen, ich sähe ja, was hier los sei. Ich verließ das Sekretariat und setzte mich unschlüssig auf das blaue Sofa, das in einer Ecke des Lehrerzimmers stand. Neben mir saß eine der drei GLK -Gegenstimmen, Herr Jensen. Wie es mir gehe? fragte er. Ich sah ihn entsetzt an. Gut, sagte ich. Wie mein erster Eindruck von der Schule sei? fragte er. Gut, sagte ich. Doch dann gab ich mir einen Ruck und schilderte ihm die Situation mit dem Englischbuch. Alles kein Problem, sagte er, stand auf und ging an seinen Arbeitstisch, kramte in seiner schwarzen Schultasche, kam mit einem Greenline -Buch zurück und reichte es mir mit den Worten: Ich heiß übrigens Josef. Martin, sagte ich und merkte, wie meine Mundwinkel sich ein wenig hoben. Bis morgen könne ich das Buch behalten, sagte Josef, er beginne in der Parallelklasse mit einem Song von Britney Spears. Von Britney Spears? fragte ich. Die Kids stehn da drauf, sagte Josef, die sind total verrückt nach der. Ob ich nicht wisse, dass die erste Schulstunde die wichtigste sei, die, bei der sich entscheide, wie das komplette Schuljahr verlaufen werde, und da wolle er nicht mit dem trockenen Schulbuchmüll beginnen. Natürlich nicht, sagte ich und ließ die Schultern hängen. Dann fasste ich mir ein Herz und sagte, ich hätte eine Frage bezüglich des Direktors, ich wisse nicht, an wen ich mich wenden solle, aber er, Josef, schiene mir … Josef legte mir eine Hand auf den Arm und schaute sich um. Nicht hier, flüsterte er. Er wisse Bescheid, er wisse, was ich sagen wolle, er kenne die Liste . Heute Abend um acht, sagte er, Ratskeller Stuttgart, Hinterzimmer, da könne man offen sprechen. Dann rief jemand von der Tür her seinen Namen. Josef stand auf, nickte mir zu und verließ das Lehrerzimmer.
Ich hatte keine Zeit, über das nachzudenken, was Josef gesagt hatte, sondern erinnerte mich daran, dass ich noch meinen Schulschlüssel beim Hausmeister abzuholen hatte. An seinem Kabuff standen vor mir in der Schlange die Oberreferendare und andere neue Kollegen. Der Hausmeister hatte eine laute, quäkende Stimme, vor ihm lagen verschiedene Schlüssel ausgebreitet, und er deutete auf die Schlüssel, während er zu jedem Schlüsselabholer die gleichen Worte sprach: Schlüssel C6 für alle Zimmer im EG , 1G, 2G, 3G, Schlüssel C5 für Physik Sockelgeschoss SG 4, Schlüssel C4 für Erdkunde SG 5, Schlüssel C3 für Biologie und Chemie SG 3 und SG 2, Schlüssel C2 für Informatik SG 1, Schlüssel C1 Generalschlüssel nur für Direktor, Stellvertreter und Putzfrau, Schlüssel D1 für Sporthallen 1 bis 2, Schlüssel E1 für Musiksaal 4G. Unterrichten Sie eines der genannten Fächer? Nein? Dann Schlüssel C6 für Sie, bei Verlust 10000 Euro, da Auswechslung aller Schlösser nötig, mit Ausnahme Physik, Erdkunde, Naturwissenschaften, Informatik, Musik, Sporthallen, daher Schlüsselversicherung, abzuschließen im Sekretariat, 15 Euro pro Schuljahr, der Nächste bitte. Ich ging ins Sekretariat und schloss eine Schlüsselversicherung ab, kehrte zurück ins Lehrerzimmer, nahm mir das Greenline -Buch, das noch auf dem Tisch vor dem Sofa lag und wollte beginnen, mich an die Vorbereitung meiner ersten Schulstunde zu machen, doch neben mir saß ein älterer Lehrer, die Beine übereinander geschlagen, friedlich, ruhig, entspannt, er hatte eine geöffnete Zeitung auf den Knien, schien aber nicht zu lesen. Er warf mir einen Blick zu, nickte kurz und sagte, mein Gott. Ich fragte, wie bitte? Er sagte, Sie sind noch so jung. Ich hustete. Er sagte, Brinkmann, Mathe, Physik. Ich sagte, Kranich, Englisch, Deutsch. Er sagte, Sie haben das alles noch vor sich. Ich fragte, was? Er sagte, alles, die ganze Laufbahn, ich hab nur noch ein Jahr, mein letztes Jahr, und als er dies sagte, sah er ein wenig verklärt durch mich hindurch. Mein letztes Schuljahr, fuhr er fort, das allerletzte, dann hab ich’s geschafft, Pensionierung, dann hab ich’s hinter mir, können Sie sich das vorstellen, nur noch ein Jahr? Ich: Und dann? Er sah mich
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