Lehrerzimmer
seine Pflicht, sich zunächst bei den neuen Kollegen dafür zu entschuldigen, dass keine Arbeitstische für sie zur Verfügung stünden, aber die Situation sei die, dass gerade über einen Ausbau der Schule verhandelt werde, und solange der Gemeinderat kein grünes Licht gebe, müsse man sich mit dem wenigen Platz begnügen, der einem beschieden sei, was er, Höllinger, sehr bedaure, aber er habe die Schule ja schließlich nicht erbaut und könne nichts dafür, dass sein eigenes Büro genauso groß sei wie das Lehrerzimmer. Die neuen Lehrer könnten sich aber einen Stuhl aus dem Keller holen und sich vor die Bücherregale der Bibliothek hocken, von denen einige zu diesem Zweck leer geräumt worden seien. Höllinger machte eine Pause, betrachtete den Zettel mit den Tagesordnungspunkten, dachte einen Augenblick nach und beugte sich dann zum Stellvertreter, die beiden wechselten einige Worte, der Stellvertreter nickte, und Höllinger sagte, da man nun gerade schon bei den neuen Kollegen sei, habe er soeben im kleinen Führungsgremium beschlossen, den Tagesordnungspunkt zwei vorzuziehen, dabei handle es sich, wie man sehen könne, um die Vorstellung ebendieser neuen Kollegen, und er bitte darum, die Änderung der Tagesordnungspunktereihenfolge im Protokoll zu vermerken. Höllinger erwähnte zunächst die Unterreferendare, die noch nicht anwesend waren, weil sie die ersten Wochen geschlossen im Seminar verbrachten, drei Unterreferendare, sagte er, darunter zwei Frauen. Die Oberreferendare, sagte er, begrüße er herzlich, allen voran Herrn Kracht, einen, wie Höllinger sagte, waschechten Göppinger, er freue sich ganz besonders, dass ein gebürtiger Göppinger sein Kollegium fortan bereichern werde, ein Göppinger, der nicht nur die Stadt nie verlassen habe und immer noch hier wohne, nur zweieinhalb Gehminuten vom ERG entfernt, nein, ein Göppinger, der auch, davon sei er, Höllinger, überzeugt, durch sein göppingsches Wesen, ja, er wolle sagen, seine göppingsche Seele, mit dazu beitragen werde, das Klima an der Schule erheblich zu verbessern, und schon jetzt könne er sagen, dass er, Höllinger, sich auch nach Ende dieses Schuljahres sehr darum bemühen werde, den Göppinger an der Schule zu behalten. Er, Höllinger, müsse, wenn er sich die Akte Herrn Krachts ansehe, voll Anerkennung den Hut ziehen vor dessen Leistungen. Kracht habe herausragende Noten aus dem ersten Jahr mitgebracht, eine exzellente Beurteilung seitens seines, Höllingers, Vorgängers, und soweit er sehe, habe Kracht nur einen einzigen Fehler im Lebenslauf. Die Lehrer lauschten aufmerksam, als Höllinger sagte, er, Kracht, habe vor Zeiten sein Abitur an der falschen Göppinger Schule gemacht, also nicht am ERG , sondern drüben, am KNOGY . Die Lehrer lachten leise und höflich, und Höllinger lehnte sich zurück. Dann stellte er auch die übrigen Neuankömmlinge vor. Kranichs Noten, sagte er, seien eher mau, seine Einstellung in den Schuldienst habe Kranich lediglich der diesjährigen Landtagswahl zu verdanken, bei der wie üblich zusätzliche Lehrerstellen als Wählerfutter bewilligt worden seien. Darüber hinaus sehe es allerdings so aus, dass die fetten Zeiten sich dem Ende zuneigten, die Zeiten, in denen man ihm, Höllinger, nur Einser-Assessoren zugeführt habe, und schlimmer noch, es habe ganz den Anschein, dass sich wieder die Jahre näherten, in denen man nehmen müsse, was komme, Lehrernotstand nenne man das, jedenfalls, was er sagen wolle, seine Schuld sei es nicht, er könne nichts dafür, dass die Qualität der Kollegen stetig abnehme, das liege nicht in seiner Macht, er müsse sich da dem Oberschulamt fügen.
Er wolle nun, fuhr Höllinger fort, auf den übersprungenen Tagesordnungspunkt Sicherheit zu sprechen kommen und beginnen mit der Erinnerung an jenen Zwischenfall, der sich im Winter des letzten Jahres ereignet habe, als während einer großen Pause einem Schüler aus einem unabgeschlossenen Klassenzimmer Geld gestohlen worden sei, was eine berechtigte Beschwerde seitens der Eltern beim Oberschulamt nach sich gezogen hätte, woraufhin er, Höllinger, nun einen Direktionsbeschlussverfasst habe, welcher besage, dass ab sofort in jeder großen Pause sämtliche Zimmer dieser Schule, wie es sich gehöre, abzuschließen seien, nämlich vom jeweiligen vor der großen Pause im Zimmer unterrichtenden Lehrer. Dieser habe laut Direktionsbeschluss fortan zu warten, bis alle Schüler das Zimmer verlassen hätten, um dann ordnungsgemäß die
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