Lehtolainen, Leena
ich, die schlimmsten Rötungen mit Puder abzudecken, aber heute hatte ich es vergessen.
Der Mann las mit neugieriger Miene, runzelte zwischendurch die Brauen. Ich mochte ernste, nachdenkliche Augen, wie er sie hatte. Das Lächeln, das ihm ab und zu übers Gesicht huschte, machte ihn um einige Jahre jünger. Durch den Bart war es schwierig, sein Alter zu schätzen, aber er konnte kaum älter sein als ich. Meine Brüder meinten allerdings, ich wäre schon als Tante auf die Welt gekommen, und ihre Frauen erklärten, ich würde mich so wenig pflegen, dass ich geradeso gut fünfzig sein könn-te wie fünfunddreißig. Zu Weihnachten schenkten sie mir Fal-tencremes und Lotionen gegen Zellulite, die ich pflichtschuldig benutzte. Ich zwängte meinen Hintern in formende Slips, wie es sich für eine richtige Frau gehört. Ich versuchte, ansprechend auszusehen.
«Entschuldigen Sie, dass ich störe, aber könnten Sie mir einen Film empfehlen? Ich hätte Lust, ins Kino zu gehen, aber ich hab keine Ahnung, was sehenswert ist.»
Der Mann drehte seinen Stuhl und stützte sich auf meinen Tisch, er kam mir plötzlich viel zu nah.
«Einen Film? Ich weiß nicht … Ich habe bestimmt einen ganz anderen Geschmack als Sie.» Mein Mund war trocken, ich nahm schnell einen Schluck Cidre.
«Ich mag keine Actionfilme, sondern solche, in denen es um Beziehungen geht, am liebsten finnische.» Er schob mir die Ki-noseite der Zeitung hin.
Ich mochte nicht zugeben, dass ich sehr selten ins Kino ging.
Ich wartete lieber, bis die Filme als Video zu haben waren oder im Fernsehen kamen. Ich hasste die Unruhe im Kino, die um-schlungenen Pärchen, die knisternden Bonbontüten, die flu-chenden Teenager. Ich mochte Geschichten, die glücklich aus-gingen, und jedes Happy End brachte mich zum Weinen.
Deshalb genierte ich mich im Kino. «Titanic» hatte ich mir angesehen, weil die Frauen im Chor es so gelobt hatten, aber ich war schon bei der Kartenspielszene am Anfang in Tränen aus-gebrochen, weil der arme Held nicht weiß, dass er eine Fahrkarte in den Tod gewonnen hat.
«Ein paar finnische laufen gerade. Eine Klamotte und irgend so ein Film für Jugendliche. Den ‹Flößerkönig› haben Sie ja sicher schon gesehen.»
«Ich glaube nicht …» In seiner Stimme lag plötzlich Un-sicherheit.
«Der ist wahnsinnig populär.»
«Haben Sie ihn schon gesehen? Kriegt man davon gute Laune?»
Wenn ich jetzt lügen würde, dass ich ihn noch nicht gesehen habe, würde er mich dann einladen? Der Gedanke war zugleich aufregend und beängstigend. Ich sagte, mir hätte der Film gut getan. Das bedeutete, dass ich drei Taschentücher nass geweint hatte, als ich ihn mit den Klientinnen des Schutzhafens auf Video gesehen hatte.
«Also vielleicht den», meinte der Mann und leerte sein Glas in einem Zug. «Er fängt erst um viertel nach sieben an, da hab ich noch Zeit für ein Bier. Soll ich Ihnen was mitbringen?»
«Danke, ich hab noch», sagte ich und zeigte auf mein halb volles Glas. Der Mann ließ die Zeitung auf dem Tisch liegen. Ich las noch einmal mein Horoskop und fragte mich, ob mit dem Menschen, der mein Leben umkrempelt, vielleicht doch nicht ich gemeint war. Vielleicht war der Mann mit dem schwarzen Bart auch Fisch, und ich war in seinem Horoskop der wichtige Mensch? Sollte ich ihm sagen, dass ich mir den «Flößerkönig»
gern noch einmal ansehen würde? Wenn ich mein Glas schnell austrank und mir noch ein viertes holte, würde ich es vielleicht wagen.
Er kam zurück und sah mich fragend an. «Darf ich mich an Ihren Tisch setzen?»
«Bitte.»
Das Schweigen war mir unheimlich und der Mann zu groß.
Unbeholfen nahm ich das Gespräch wieder auf: «Haben Sie die anderen Filme von Pölönen gesehen?»
«Nur diese Tangogeschichte, auf Video. Dabei bekam ich Lust, tanzen zu gehen, obwohl ich gar nicht richtig Tango tanzen kann … Warm ist das hier!» Als er sein graues Sakko auszog, konnte ich feststellen, dass er seine breiten Schultern nicht etwa Schulterpolstern verdankte. Bestimmt ging er regelmäßig zum Bodybuilding. Er hängte das Sakko sorgfältig über den Stuhl, nahm die Geldbörse aus der Innentasche und legte sie auf den Tisch. Da sah ich es.
Den linken Unterarm zierte ein schwarz-grüner Drache. Das war nicht das Werk eines modebewussten Tätowierers, sondern eines Gefängnisinsassen. Männer mit dieser Art von Haut-schmuck waren auf dem Sozialamt meine Stammkunden gewesen und hatten wütend an den Türen des Frauenhauses gerüttelt.
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