Lehtolainen, Leena
gegenseitig am Arm, warfen sich Blicke zu, während die beiden Außenseiterinnen in ihrer ureigenen Einsamkeit hockten, der Streifenschopf laut und unruhig, der Dutt in beklemmender Lautlosigkeit.
Im Anschluss an meinen Vortrag konnten Fragen gestellt werden. Es überraschte mich nicht, dass die Zuhörerinnen über die zunehmende sexuelle Belästigung sprechen wollten, der sie überall in der Stadt ausgesetzt waren.
»Die Polizei sagt immer nur, Frauen sollten bei Dunkelheit nicht allein aus dem Haus gehen«, entrüstete sich eine Rothaarige in meinem Alter. »Ich will in Ruhe joggen können, und zwar dann, wenn es mir passt, nämlich abends, wenn mein Mann zu Hause ist und die Blagen im Bett liegen. Ich bin schließlich nicht die Kriminelle, warum soll ich mir also meinen Tagesablauf von irgendwelchen Scheißkerlen diktieren lassen?«
»Ich stimme dir voll zu, das dürfte nicht sein. Aber es ist besser, kein unnötiges Risiko einzugehen. Wo joggst du denn?«
Ich kannte die Angst, die einen manchmal auf einer dunklen, einsamen Laufstrecke überfällt, wenn man auf jedes Knacken im Gebüsch horcht und sich fragt, ob irgendwo ein Mörder lauert.
Eine der Frauen erzählte, wie sie einen Angreifer durch Bisse abgewehrt hatte, eine andere berichtete von ihrer Kollegin, die nicht mehr begrapscht wurde, seit sie auf einem Betriebsfest der Frau des Betreffenden gesagt hatte, was ihr Mann am Arbeitsplatz trieb. Ich merkte, dass ich zur Therapeutin wurde, bei der die Frauen ihre Erlebnisse abluden, und fühlte mich peinlich berührt. Schließlich war ich gekommen, um über meine Arbeit zu sprechen, und nicht, um Lebensregeln auszuteilen. Ich fühlte mich geradezu erleichtert, als eine der Frauen wütend erzählte, bei einem Verkehrsunfall hätte der Polizist automatisch sie für die Schuldige gehalten und mitfühlend gesagt: »Da wird Ihr Mann aber sauer sein, wenn er sieht, dass seine liebe Frau den Wagen zu Schrott gefahren hat.« Dabei hatte sie das Auto von ihrem eigenen Geld gekauft und sich konsequent geweigert, ihren rücksichtslos fahrenden Mann ans Steuer zu lassen. Dieses Muster kannte ich, diese Art weiblicher Solidarität, und ich musste lächeln, als mir bewusst wurde, wie Recht die Zeitungen hatten: In Rosberga wurden die Männer tatsächlich systematisch schlecht gemacht. Meine praktischen Ratschläge für den Umgang mit Polizisten wurden plötzlich unterbrochen. Die Gestreifte, die sich fast den ganzen Vortrag hindurch auf das Lackieren ihrer Nägel konzentriert hatte, sprang auf und rief:
»Ihr mit euren mickrigen Problemchen, ihr seid doch bestusst!
’ne Delle im Blech, o weh, o weh! Braucht ihr dafür etwa geistige Selbstverteidigung, oder traut ihr euch nicht, über eure wahren Probleme zu reden? Na, was ist?«
Sie war nach vorn gekommen, ein schwerer Moschusduft umwaberte sie, und unter der dicken, zu hellen Puderschicht auf ihrer Stirn drangen kleine Schweißtropfen hervor.
»Ich bin in meinem Leben so oft vergewaltigt worden, dass ich’s nicht mehr zählen kann. Inzest natürlich, und dann ein Haufen andere Kerle, meistens war ich so blau, dass ich vergessen hab, wie die Schweine aussahen. Aber an den Letzten erinnere ich mich. Ich bin eine von denen, die die meisten von euch verachten, ich sag immer, ich bin Sexarbeiterin. Aber keine Hure, ich schlaf nicht mit jedem, ich tanz nur für Geld. Ein Nachbar hat sich immer wieder meine Show angeguckt, und wie ich eines Abends Kartoffeln aus dem Keller geholt hab, ist er über mich hergefallen. Er meinte, weil ich nackt tanze, kann er mich einfach so flachlegen. Da hat er mich dann auf dem Betonboden gefickt, er fand das geil.«
Die mit dickem, schwarzem Lidstrich umrandeten, matten Augen starrten mich an, die gepiercten Nasenflügel flatterten wie bei einem gereizten Tier.
»Du hast ihn doch hoffentlich angezeigt?«, fragte ich hilflos.
»Nee! Glaubst du etwa, die Bullen würden anders denken als mein Nachbar? Aber ich hab ihm geschrieben, ich hätte Aids«, erwiderte sie wütend. »Ich hab’s nicht«, fügte sie rasch hinzu, als wäre der soziale Druck übermächtig, »außer wenn dieser Scheißkerl mich angesteckt hat.«
»Was erwartest du dir eigentlich von diesem Kurs, Milla?« Zu meiner Erleichterung mischte sich Elina Rosberg in das Gespräch ein, das mich einfach überforderte.
»Was ich erwarte? Du, das weiß ich echt nicht. Ich frag mich, was ich hier soll. Aber du«, Milla wandte sich wieder an mich,
»bist du ’ne feministische
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