Lehtolainen, Leena
maulte Sara, die auf der anderen Seite der Pfütze stand. Mutter starrte auf das Wasser, Veikko schaute nach oben, dann wieder in die Pfütze.
»Das Spiegelbild ist schöner«, lächelte er und warf mir einen merkwürdigen Blick zu. Einmal waren wir zu zweit beim Angeln gewesen, und ich hatte gewagt, ihm zu erzählen, als was ich die Wolken sah. Veikko hatte mir zugehört, ohne zu lachen.
Ich merkte, dass nur er und ich die Wolke sehen konnten. Sara ging zwar um die Pfütze herum, aber in der falschen Richtung.
Ich schlug den Kofferraumdeckel zu und setzte mich auf die Rückbank.
Der Abschied von Großmutters Haus stimmte mich traurig, denn ich wusste, dass ich es nie mehr wiedersehen würde. Die gelben Wände schienen näher aneinandergerückt zu sein als in meiner Kindheit. In diesem Haus hatte ich gelernt, Erdbeermilch zu machen und Eierpfannkuchen zu backen. Hier hatte ich im Sommer 84 zum ersten Mal meine Tage bekommen, hierher hatte ich mich nach der Trennung von Karri geflüchtet. Im Wald hinter dem Haus hatte ich Pilze und Beeren gesammelt, in den langen, stillen Sommernächten hatte ich im See geplanscht und die Nebelschwaden, den Mond und die Sterne betrachtet. Hier hatte ich einige meiner besten Songs geschrieben. In diesem Haus war ich manchmal glücklich gewesen. In diesem Haus, in dem Onkel Rane meinen Großvater erschlagen hatte.
Sara umarmte Veikko und Mutter zum Abschied, Kaitsu und ich winkten nur. Den Wegrand säumten Weidenbüsche und Kiefern, ein dunkles Grün, durch das nur selten ein Sonnenstrahl drang. Viele Häuser in der Gegend standen leer. Wenn dieser Korpelainen tatsächlich Großmutters Haus kaufte, hatten wir Glück. Sara erzählte, welche Ängste sie ausgestanden hatte, wenn sie durch den Wald zur Schule gehen musste, und wie ihr in den kältesten Wintern fast das Gesicht erfroren war. Niemand hatte eine so elende Kindheit gehabt wie Sara, die bei dreißig Grad Frost in Gummistiefeln laufen musste, weil Großvater das Geld für die Winterschuhe versoffen hatte.
Ich hatte kaum Erinnerungen an Großvater. Nur an seinen Mundgeruch erinnerte ich mich, und daran, dass man nie wusste, wie er gelaunt war. Bei guter Laune nahm er mich auf den Schoß, sang und erzählte Geschichten, aber wenn er schlecht aufgelegt war, jagte er uns Kinder auf den Dachboden.
Er war oft unrasiert, hatte graue Bartstoppeln und verlegte dauernd seine Brille, sodass er nicht Zeitung lesen konnte.
Kaum zu glauben, dass er bei seinem Tod erst siebenundvierzig gewesen war, nur einige Jahre älter als Veikko jetzt.
»Und als Rane Vati umgebracht hat«, spann Sara ihre Geschichte weiter, die ich nicht hören wollte, »was glaubt ihr, wie ich da gequält worden bin. Dein Bruder ist ein Mörder und sitzt im Kittchen, haben sie gerufen und mich an den Haaren gezogen. Noch in der Oberstufe, stellt euch das mal vor! Ich war ein sensibles Mädchen, nach einer Weile habe ich mich gar nicht mehr in die Schule getraut. Übers Schikanieren in der Schule hat man damals noch nicht geredet, die Lehrer dachten wohl, es ist meine eigene Schuld, weil ich aus so einer Familie komme. Am liebsten wäre ich von der Schule abgegangen, aber Mutter hat es nicht erlaubt.«
Zu Ranes Beerdigung hatten Kaitsu und ich nicht mitkommen dürfen. Er war nicht neben Großvater ins Familiengrab gelegt worden, sondern in ein Einzelgrab in der hintersten Ecke des Friedhofs. Mit der Zeit hatte ich Rane und Großvater dann vergessen, denn sie wurden nie erwähnt. Erst in dem Sommer, als ich konfirmiert wurde, zeigte Sara mir das Grab und erzählte, dass Rane sich nach einem halben Jahr im Gefängnis umgebracht hatte. Da rannte ich zu Mutter und bestürmte sie mit meinen Fragen, aber sie gab mir keine Antwort, sondern schimpfte mit Sara, die seitdem, von einzelnen Andeutungen abgesehen, auch nicht mehr von Rane gesprochen hat.
Als Veikkos erster Roman erschien, waren Mutter und Groß-
mutter schockiert. Es war die Geschichte eines Vatermordes, der allerdings im Bürgerkrieg in Helsinki passierte, wo Vater und Sohn auf entgegengesetzten Seiten kämpften. Irgendein Journa-list hatte jedoch herausgefunden, dass der Bruder des Autors seinen Vater umgebracht hatte, und daraufhin versucht, Über-einstimmungen zwischen Fiktion und wirklichem Leben zu finden. Veikko hatte jeden Kommentar verweigert.
Karri war der Erste, dem ich von Rane zu erzählen wagte. Als er mich verließ und zum Zivildienst ging, brach eine Welt für mich zusammen. Damals kam mir
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