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Leiche in Sicht

Leiche in Sicht

Titel: Leiche in Sicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Livingston
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reizende Person. Wir haben früher in Kingston an der
Themse gewohnt, aber wir mußten umziehen. So ist das eben heute, wenn man auf
der Karriereleiter weiterkommen will, nicht wahr?» Mrs. Gill schenkte ihm ein
zuckriges Lächeln, und in Mr. Pringle zog sich alles zusammen. Sie erinnerte
ihn an all die Damen, die ihm im Laufe seines Lebens am Flag-Day zu wohltätigen
Zwecken Papierfähnchen verkauft hatten. Obwohl von ihm keinerlei Reaktion kam,
plapperte sie ungeniert weiter, offenbar davon überzeugt, daß sie ihn mit dem,
was sie ihm erzählte, grenzenlos faszinierte.
    «Jedenfalls — eines Tages kam also
Männe nach Hause und sagte: ‹Halt dich fest, wir ziehen nach Hounslow.› Nur das
nicht, dachte ich — wie man eben in solchen Momenten denkt —, und dann, als wir
dort ankamen, dachte ich, nun... wenn wir schon einmal hier sind, dann sollten
wir auch versuchen, das Beste daraus zu machen, und Shirley Hanson ist ja auch
die beste Nachbarin, die man sich nur wünschen kann. So handfest und
energisch.» Mr. Pringle hatte nicht die leiseste Ahnung, warum sie ihm das
eigentlich alles erzählte.
    «Vor drei Monaten kam sie dann eines
Tages zu mir, Shirley meine ich — ich nenne sie immer beim Vornamen, aber sie
besteht darauf, mich als Mrs. Gill anzureden, wirklich reizend! Also, sie kam
zu mir und sagte, bei der monatlichen ERNIE-Auslosung sei die Nummer ihrer
Staatobligation gezogen worden, und sie hätten gewonnen. Und ich habe ihr
natürlich gratuliert, und sie hat mir gesagt, daß sie von dem Geld nach
Griechenland in die Ferien fahren würden, und dann fragte sie, ob wir nicht
mitkommen wollten, und ja... ich dachte, warum eigentlich nicht.»
    Der Abend scheint überhaupt kein Ende
nehmen zu wollen, dachte Mr. Pringle. Er saß in der Falle und mußte die Gills
ertragen, ob er nun wollte oder nicht.
    «Ich dachte, den Kindern könnte eine
Reise ins Ausland guttun für ihre Bildung. Und mein Männe hier mußte dringend
mal raus aus allem, gib’s zu, daß es stimmt! Ich war mir natürlich darüber im
klaren, daß wir nicht auf eine ERNIE-Prämie zurückgreifen konnten...»
    Er würde mit Kate reden, dachte Mr.
Pringle. Ein Abend mit den Gills war genug, mehr als genug — ein zweites
Mal würde er sich ihr Geschwätz nicht anhören.
    «Und als Männe dahinterkam, was ich
geplant hatte — in der besten Absicht natürlich — , da hat er nicht ein Wort
darüber verloren, daß diese Reise für uns eigentlich zu kostspielig ist, weil
er nämlich auf dem Standpunkt steht, daß ein Mann für seine Familie sorgen muß.
Ist es nicht so, mein Schatz...?» Sie tätschelte ihrem Mann übertrieben
zärtlich die Wange, und Mr. Pringle überlegte, ob er einen epileptischen Anfall
vortäuschen sollte. Rettung nahte in der Gestalt von Ianni, der mit mehreren
Flaschen im Arm an ihren Tisch trat.
    «Rot oder weiß?» fragte er. Mr. Gill
schlug sich mit einer affektierten Geste des Entsetzens die Hand an die Stirn.
    «Du liebe Güte», wandte er sich an
seine Frau, «nun sieh bloß, wie er mit dem Wein umgeht!» Dessen Einverständnis
voraussetzend, sagte er in vertraulichem Ton zu Mr. Pringle: «Es hätte auch gar
keinen Zweck, ihm irgend etwas zu erklären. Den Leuten hier sind bestimmte
Dinge einfach egal!» Mr. Pringle starrte voll stumpfer Empörung auf die
Tischdecke.
    Gill bestellte eine Flasche Rotwein,
goß sich ein Glas davon ein und nahm mit demonstrativer Vorsicht einen kleinen
Schluck. Mr. Pringle erwartete, daß er ihn verächtlich wieder ausspucken würde,
aber Gill ließ ihn im Mund kreisen, schluckte ihn schließlich hinunter und
wiederholte das Ganze, bis das Glas leer war.
    «Verdammt sauer», verkündete er und goß
sich erneut ein. Mrs. Gill schob ihm ihr Glas über den Tisch. Als er es gerade
gefüllt hatte, sagte sie plötzlich: «Ich glaube, ich hätte doch lieber weißen.»
Männe lächelte nachsichtig.
    «Ich werde dem Burschen sagen, daß er
noch eine Flasche bringen soll.» Er wandte sich an Mr. Pringle: «Möchten Sie
auch ein Glas?»
    «Ja, danke.» Es war nicht das erste
Mal, daß man versuchte, Mr. Pringle auf diese Weise hereinzulegen. Gill hatte
jetzt zwei volle Gläser vor sich, seine Frau würde den Weißwein zweifellos auch
ohne fremde Hilfe leer kriegen, und am Ende des Abends, wenn es ums Bezahlen
ging, dann würden sie ihm vorschlagen, sich die Rechnung zu teilen.
    Gill schenkte Mr. Pringle ein, aber nur
ein halbes Glas, und schob es ihm mit übertriebener Vorsicht über den

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