Leiche in Sicht
Augen — das schien ihm sicherer —
tastete er nach seiner Brille. Er fand sie. Hurra! Mit unendlicher Vorsicht
öffnete er das dem Licht abgewandte Auge. Es war schon hell, also mußte es
schon Morgen sein. Er beschloß, daß ihm diese etwas vage Zeitangabe genügte,
denn sonst hätte er noch nach seiner Uhr suchen müssen.
Der Gedanke, sich jetzt wieder
hinzulegen und abzuwarten, bis sich sein Befinden wieder normalisiert hätte,
war außerordentlich verführerisch, doch dann fiel ihm ein, wie unangenehm in
seinem Zustand die Horizontale sein konnte, und er blieb lieber sitzen.
Seine Zunge tat auch nicht mehr, was er
wollte. Er fand das schade, sie fehlte ihm. Vielleicht, wenn er ihr etwas zu
trinken gäbe? Es war ihm nie vorher bewußt geworden, was für eine komplizierte
Angelegenheit es doch war, ein Glas mit Wasser zu füllen. Als er es endlich
geschafft hatte, waren seine Beine und Füße klatschnaß. Er hätte gern ein Alka
Seltzer genommen, aber das lag oben auf einem Schrank, und er hätte einen Stuhl
gebraucht, um dranzukommen. In seiner jetzigen Verfassung war für Mr. Pringle
der Unterschied zwischen dem Erklimmen eines Stuhles und dem Besteigen des
Mount Everest fast Null, und so ließ er es. Oh, gütiger Himmel...
Die Schott-Tür war zu — gut. Er wollte
auf keinen Fall, daß sie wach wurden, sonst kämen sie womöglich noch auf die
Idee, sich mit ihm unterhalten zu wollen oder, noch schlimmer, Frühstück zu
machen. Bei dem Gedanken an Essen begann er zu würgen und raste in die Pütz.
Neben dem Waschbecken hing noch das Handtuch, das er gestern benutzt hatte. Er
würde sich Shorts anziehen, an den Strand gehen und sich dort unter die Dusche
stellen. Das würde ihm sicher guttun. Warum war es ihm bloß nicht schon vorher
eingefallen?
Er hatte jeden Schritt an Land
sorgfältig geplant, doch dessenungeachtet gelang der Sonne noch ein Volltreffer
mitten in beide Augen, bevor er es endlich geschafft hatte, die Sonnenbrille
aufzusetzen. In einem der Schränke hatte er ein paar Drachmen gefunden und an
sich genommen, für den Fall, daß er nach dem Duschen im Strandrestaurant noch
einen Kaffee trinken wollte.
Im Hafen war noch alles ruhig. Auf
einigen Booten der Flottille hatte die Crew es vorgezogen, an Deck zu schlafen.
Er sah Emma, die zusammengerollt in der Plicht der Aries lag. So
geräuschlos wie möglich ging er von Bord.
Am Strand wollte ihm ein alter Mann
eine Tüte mit Äpfeln verkaufen. Sie waren kaum weniger verschrumpelt als er
selbst, dachte Mr. Pringle. Sie taten ihm leid — sowohl die Äpfel als auch der
alte Mann. Er kaufte dem Alten die Tüte ab. Er würde, vorausgesetzt, er hatte
dazu die Energie, den Esel suchen gehen, den er gestern im Olivenhain
angepflockt gesehen hatte. Der würde die Äpfel ja vielleicht mögen.
Auf halbem Weg zur Dusche rief ihn
jemand. Es war der Fährmann, der Kunden zur Plattform hinausbrachte. Dort waren
bereits zwei Leute damit beschäftigt,’ einen Fallschirm auszupacken. Mr.
Pringle blieb stehen, um dem Fährmann zu erklären, daß er seine Meinung
geändert habe: Er sei heute zu krank, um etwas zu unternehmen.
Der Fährmann war die Freundlichkeit in
Person und nickte die ganze Zeit zustimmend, während er Mr. Pringle an Bord
half. Mr. Pringle deutete auf sein Kinn und versuchte, ihm deutlich zu machen,
daß er noch nicht einmal rasiert sei. Der Fischer nickte lächelnd. Sie
steuerten geradewegs auf die Plattform zu. Es war grotesk, dachte Mr. Pringle.
Das Mädchen hatte große braune Augen.
Sie trug ein knappes Top und ein Bikinihöschen. Ob sie wohl die Schwester des
Mädchens mit der Holzperlenkette war? Er begann ihr, halb in holprigem
Griechisch, halb in Zeichensprache, zu erklären, warum ihm heute nicht nach
Paracending zumute sei.
Ihr Partner half Mr. Pringle derweil,
in das Gurtwerk zu steigen. Die Riemen gingen zwischen den Beinen durch,
umschlossen die Taille und liefen über beide Schultern. Das Mädchen und ihr
Partner zurrten sämtliche Riemen straff und schlossen dann die Schnalle auf der
Brust. Zur Sicherheit schob das Mädchen noch einmal seine Hand unter den
Taillengurt; er saß genau richtig, nicht zu locker und nicht zu stramm. Ihre
Brüste streiften seinen Arm.
«Okay?» fragte sie.
«Sehr schön!» Er hatte den Eindruck,
als ob sie seine Antwort fälschlicherweise auf die Ausrüstung bezog. Ihr
Partner zeigte ihm, wie der Fallschirm an den Schulterriemen eingehakt wurde.
Er würde Arme und Hände frei haben: er konnte
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